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EU-Grenzkontrollen: Wenn der Lügendetektor kontrolliert

EU-Grenzkontrollen: Wenn der Lügendetektor kontrolliert

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Schon in einem halben Jahr könnten Reisende an den EU-Außengrenzen durch eine neue Art von Grenzkontrollen schneller und zugleich effizienter abgehandelt werden, so das Versprechen. Dabei kommt eine Art Lügendetektor zum Einsatz, der prüft, ob der Reisende lügt oder etwas zu verstecken hat. Eine Firma mit Sitz in Luxemburg koordiniert das EU-Projekt. Bislang hapert es allerdings noch an der Zuverlässigkeit.

Es klingt nach Science Fiction, ist es aber nicht. „Es ist eine Vision, die ab Mitte 2019 Realität wird“, so Dr. George Boultadakis, Senior-Entwicklungsberater von European Dynamics Luxembourg, gegenüber dem Tageblatt. Das Zwei-Phasen-Projekt heißt iBorderControl, wird von der EU-Kommission finanziert und vom Software-Unternehmen „European Dynamics“ mit Sitz in Luxemburg koordiniert. Bereits beim Ticketkauf werden registrierte Benutzer auf eine Online-Plattform geleitet. Die erste Phase beginnt. Auf der Webseite stellt ein Algorithmus in Form eines Avatars dem Reisenden Fragen und kontrolliert dabei dessen Gesichtsausdrücke anhand der Webcam.

Um Fehlerquellen möglichst auszuschließen, kann der Algorithmus sich mit seinen Fragen an die Sprache, das Geschlecht und an die Ethnie des Reisenden anpassen. Dabei soll festgestellt werden, ob der Reisende die Wahrheit sagt und nichts zu verstecken hat. In dieser ersten Phase, noch vor Antritt der Reise, werden ebenfalls Dokumente und Reisedaten überprüft. „Droht beispielsweise ein Reisepass abzulaufen, wird der Reisende umgehend benachrichtigt“, so Boultadakis. „Oder der Reisende wird, wenn zum angegebenen Reisedatum laut Prognose besonders viel Andrang an jener Grenze herrscht, darüber informiert und kann dementsprechend die Uhrzeit oder den Tag seiner Reise verschieben, um schneller durchzukommen.“ Boultadakis betont, dass das Verfahren auf freiwilliger Basis stattfindet. „Die Zahl der Grenzbeamten, die mit dem System ausgestattet sind, ist begrenzt. Ebenso die Zahl registrierter Reisender.“

Für iBorders soll es in Zukunft spezielle Fahrspuren (an Landesgrenzen) oder Schalter (an Flughäfen oder Häfen) geben. „iBorders ist ein Forschungsprojekt. Wir promoten bereits bekannte, aber auch neue Technologien. Einerseits steigern wir die Erfahrung der Reisenden, andererseits geben wir den Grenzhütern mehr Macht“, so Boultadakis.

Mikro-Bewegungen werden registriert

Die zweite Phase findet dann direkt an der Grenze statt. An den EU-Außengrenzen Ungarns, Lettlands und Griechenlands wird das System zurzeit getestet. „Durch die Auswertung der erhobenen Daten des Reisenden können wir feststellen, ob dieser ein schwaches oder hohes Risiko darstellt“, so Boultadakis. Die Aufnahmen werden zudem mit einer riesigen Datenbank abgeglichen.

Das iBorder-System analysiert einerseits das non-verbale Verhalten einer Person, indem es sich auf dessen Mikro-Bewegungen im Gesicht konzentriert. Offensichtliche Ausdrücke wie beispielsweise Lächeln sind für die Software belanglos. Dagegen interessiert sich das System für einen Tic oder nervöses Zucken jeglicher Art. Dazu gehören meist unbewusste Augen- oder Mundbewegungen einer Person. Oder auch der Klang der Stimme.

„Da wir diese individuellen Profile erstellen können, weiß der Grenzbeamte nicht nur, ob es sich bei dem Reisenden um eine „High-“ oder „Low-risk“-Person handelt, sondern auch, wieso diese als solche eingestuft wurde“, so Boultadakis. „Das macht also die Arbeit des Grenzbeamten effizienter und Reisende mit niedrigem Risiko gewinnen Zeit, insbesondere jene, die regelmäßig viel reisen. Das System soll durch seine Effizienz zugleich die Sicherheit erhöhen.“

Ist der Risikofaktor niedrig, wird der Reisende in der zweiten Phase, also an der Grenze, nur noch kurz abgefertigt. Wird das Risiko vom System als hoch eingestuft, wird ein echter Grenzbeamter einschreiten und den Reisenden übernehmen. Bei Bedarf kann dieser das Gepäck genauer inspizieren, Fingerabdrücke entnehmen oder die Handfläche des Reisenden auf eine Vorrichtung ablegen, die den Fluss des Blutes in den Venen misst.

Forscher haben den Lügendetektor bereits ausgiebig getestet und eine Treffsicherheit von unter 80 Prozent festgestellt. Das ist nicht sehr verlässlich. Dazu sagt Boultadakis: „Wir werden nun in der Testphase beobachten, ob das System auch so funktioniert wie erwartet.“ Die Treffsicherheit wird wohl noch erhöht werden müssen.


Wieso brauchen wir Sicherheitsforschung?

Die Menschen seien stets Risiken verschiedener Arten ausgesetzt, so die Erklärung der EU-Kommission zur Rechtfertigung von Sicherheitsforschung. Zu den Sicherheitsherausforderungen gehören zum Beispiel Cyberkriminalität, Terrorismus oder Grenzsicherheit. Das Projekt iBorderControl gehört der letzteren Rubrik an. iBorderControl wird mit 4,5 Millionen Euro durch die EU-Kommission finanziert.

Sicherheitsforschung soll Lösungen finden – also Strategien für die Zukunft. „Es geht darum, herauszufinden, was in einigen Jahren sein kann. Forschung ist wichtig, damit man vorbereitet ist“, so Andrea de Candido gegenüber dem Tageblatt bei einem Seminar zum Thema in Brüssel.

Daneben soll Sicherheitsforschung dazu beitragen, das Vertrauen der Bürger in neue Sicherheitsstrategien und -instrumente zu gewinnen. Forschung ist nicht rein technologisch, sie kann beispielsweise auch Terrorismus vorbeugen.

Das Rahmenprogramm Horizon2020 der EU-Kommission hat von 2014 bis 2020 1,7 Milliarden Euro für „Security research“ freigegeben. Darüber hinaus wurden seit 2007 über 400 Sicherheitsforschungs-Projekte finanziert. Beim neuen Horizon-Rahmenprogramm ab 2021 wird das Budget noch mal um rund 40 Prozent gesteigert. „Forschung ist demnach nicht der Antreiber, sondern Forschung treibt an“, so De Candido.


Das Etias-System für Reisende

Nicht-EU-Bürger aus Drittländern, die zur Einreise in den Schengen-Raum offiziell kein Visum benötigen, können sich ab 2021 für das Etias-System anmelden. Etias bedeutet „European Travel Information and Authorization System“.

Betroffen sind Reisende aus ca. 60 Ländern. Diese müssen sich im Vorfeld, ähnlich wie bei iBorderControl, digital anmelden. Neben der Erhebung von persönlichen Daten, Reisedokumenten und Fingerabdrücken werden den Reisenden ebenfalls Fragen gestellt (zu ihrem Lebenslauf, etwaigem Drogenkonsum oder Krankheiten). Im Gegensatz zu iBorderControl werden sie aber weder von einem Avatar interviewt, noch wird eine Webcam ihre kleinsten Gesichtsbewegungen aufnehmen und analysieren.

Auch soll das Etias-System irgendwann verpflichtend werden, während iBorders auf freiwilliger Basis läuft. Etias ähnelt in seinem Verfahren dem US-amerikanischen System Esta.