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Die Ur-Escherin Catherine „Ketty“ Zimmer feiert ihren 100. Geburtstag

Die Ur-Escherin Catherine „Ketty“ Zimmer feiert ihren 100. Geburtstag

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Sie hat Esch nie den Rücken gekehrt und gehört seit heute zum handverlesenen Klub der Hundertjährigen in der zweitgrößten Stadt des Landes: Catherine Zimmer feiert ihren 100. Geburtstag und blickt mit dem Tageblatt auf ihr ebenso langes wie bewegtes Leben zurück.

An den Wänden hängen Fotos, die auf ein erfülltes Leben mit vielen Nachfahren schließen lassen. Dass man im hohen Alter seine kindliche Ader erhalten kann, davon zeugen die Teddybären und die Sammlung kleiner Swarovski-Tierfiguren im gemütlichen Wohnzimmer von Catherine Zimmer, die von jedem nur Ketty genannt wird.

Die Wand schmückt auch ein Bild des erbgroßherzoglichen Paares Stéphanie und Guillaume. Ketty lacht, als sie darauf angesprochen wird: „Der ,Bopa‘ hat immer erzählt, dass er im Krieg ein Foto der Großherzogs in seine Sohle eingearbeitet hatte.“ Am liebsten habe sie Jean gehabt, was nicht weiter verwundert, gehört er doch derselben Generation an, ist „nur“ zwei Jahre jünger als sie: „Hie wor e richtege Monsieur.“

Früher Tod der Mutter

Catherine Zimmer hatte es nicht immer leicht in ihrem Leben, das wird im Gespräch schnell deutlich. Vor allem, wenn sie von ihrer Kindheit erzählt. Vater Jhemp arbeitete in der Eisenerz-Mine. Die Mutter, die genauso hieß wie sie, kümmerte sich um die sechs Kinder, von denen eins früh starb. Als Catherine sieben Jahre alt war, wurde die Mutter schwer krank. Die 100-Jährige kann sich daran erinnern, als ob es gestern war. Wie die Mutter die Kinder am Krankenbett nicht mehr erkennen konnte. Und dass sie schließlich starb und ihren Mann mitsamt den Kindern zurücklassen musste. Kettys Stimme wird brüchig, als sie das erzählt, die Tränen kann sie auch 93 Jahre später kaum unterdrücken.

Das Café Zimmer: Hier lernte die junge Catherine ihren Mann Charles kennen

Der Vater heiratete nicht wieder, die Kinder verbrachten einige Zeit im Kinderheim auf dem „Kräizbierg“, bei der Tante im Neudorf und dann wieder beim Vater. Umgezogen sei sie also sehr oft, damit verbunden waren einige Schulwechsel: „Ich war in der Groussgaass-Schoul, Dellhéicht und der Brillschule“, lacht sie, „ich habe sie alle gesehen!“
Nach der Primärschule wurde die junge Ketty nach Berburg in die Haushaltungsschule geschickt. Drei Jahre verbrachte sie dort, dann ging es zurück nach Esch, zum Arbeiten. Im Krankenhaus, und in der Drogerie in der Alzettestraße.

„Dräi Méint gefreit“

Eines Sonntags machte sie sich nach dem Gottesdienst auf die Suche nach dem Vater und kehrte ins Café Zimmer in der Brill-Straße ein. Tatsächlich fand sie dort ihren Vater … und den Sprössling des Café-Inhabers mit dem Namen Charles. „Mir hu just dräi Méint gefreit“, erzählt sie mit leuchtenden Augen, „dunn hu mir eis bestuet.“ Und das, obwohl „de Charel“ ein ganzes Jahr jünger als sie gewesen sei. Die ersten beiden Kinder, beides Mädchen, bekam sie noch in der Wohnung in der Dicks-Straße, den Dritten im Bunde, einen Jungen, bereits in der Maternité. Ihre beiden Töchter leben noch, daneben hat sie vier Enkel und drei Urenkel. Mit den Ururenkeln allerdings klappt es nicht so recht, die Hoffnung hat Catherine aber noch nicht aufgeben.

Familienalbum: Catherine Zimmer 1949 mit ihren Kindern Beby, Josy und Nicole (v.l.)

Rückblickend hat sie die Hochzeit mit Charles Jr. nie bereut, obwohl das Paar schwere Zeiten durchlebte. Im Zweiten Weltkrieg wurde Charles eingezogen. Er musste für die Nazis französische Kriegsgefangene bewachen. Stattdessen half er ihnen, landete so selbst im Gefängnis und wurde gar zum Tode verurteilt. Doch genau zum richtigen Zeitpunkt kam die Offensive der Alliierten und Charles entkam in extremis dem sicheren Tod. So erzählt sie das. „Ich kann mich noch ganz genau erinnern. Ich war mit Beby, unserer ersten Tochter, im Gemeindehaus. Da kam eine Frau und berichtete, dass eine ganze Reihe Kriegsgefangene in Esch eingetroffen wären. Wir machten uns sofort auf den Weg nach Hause und tatsächlich war Charles da. Er hatte seine Tochter noch nie gesehen und konnte sie nun endlich in die Arme schließen. Das war der schönste Moment in meinem Leben!“

Familienfoto von 1949: Catherine Zimmer posiert mit den Töchtern Nicole (r.) und Beby

Für die meisten anderen schönen Momente im Leben sorgte der Campingplatz in Wasserbillig, wo die Familie bis zum Tod von Charles im Jahr 2002 viel Zeit verbrachte. „Wir fingen mit einem Zelt an, dann wurde der Campingcar immer größer.“ Unmittelbare Nachbarn waren lange Zeit das Sangesduo Colette und Fernand, wie Catherine nicht ohne Stolz berichtet. Sie genoss die Ruhe, während Charles, der seine gesamte berufliche Laufbahn als Sanitäter bei der Arbed verbrachte, fischen ging.

Der Fisch wurde an die nahe gelegenen Restaurants verkauft und natürlich auch selbst gegessen. „Nur nicht samstags, denn an diesem Tag wollte Charel immer Pastasciutta (Spaghetti mit Tomatensoße) essen. Sein ganzes Leben lang. Ich habe es gehasst“, lacht Catherine, die selbst ‹Lëtzebuerger Kascht› bevorzugt. Am allerliebsten „Stäerzelen“, eine Art „Kniddelen“. Mit dem, was ihre Urenkel heute so alles essen, kann sie wenig anfangen. Noch nie hat sie in einen Hamburger gebissen, beim Chinesen war sie einmal. Wobei ihr dort das Buffet dann doch ganz gut gefallen habe.

Familienfoto in den 1920ern: Catherine Zimmer inmitten ihrer Geschwister

Alkohol getrunken habe sie eigentlich nie. Abgesehen von einem gelegentlichen Eierlikör. Vielleicht ist auch das eines der Geheimnisse ihres langen Lebens. „Ich war nie ernsthaft krank. Warum ich so lange lebe? Ich weiß es nicht, es ist einfach so gekommen. Ich habe viel mitgemacht und auch viel gearbeitet. Aber niemals habe ich die ‹Flemm› mit dem Leben gehabt“, sagt Catherine.

Das Geheimnis

Dr. Guy Muller, Hausarzt der 100-Jährigen, erklärt das Geheimnis des langen Lebens so: „Eine Mischung aus genetischer Voraussetzung und dem Umfeld. Mit Umfeld ist meist die Familie gemeint. Frauen haben es da leichter als Männer, da sie familienorientierter sind. Und die Familie gibt ihnen Motivation, um noch Freude im Leben zu haben.“ Als Beispiel nennt der Allgemeinmediziner die älteste Frau Eschs, die erst mit 106 Jahren gestorben sei.

Familienfoto 1949: Beby, Catherine, Josy und Nicole Zimmer (v.l.)

Was auch und vor allem auf ihren Enkel zurückzuführen war, der bis zum Schluss ihr Lebensinhalt war. Ansonsten, so Dr. Muller, mache er bei Patienten wie Catherine Zimmer nicht viel. „Der Arzt begleitet und schaut dabei, dass er nicht zu viel Schaden anrichtet.“
Catherine Zimmer geht es augenscheinlich gut, obwohl sie um die Jahreswende einen kleinen Gehirnschlag erleiden musste. „Ich bin froh und auch stolz, so lange auf der Welt zu sein. Ich bin zufrieden, auch wenn ich nicht mehr ganz so mobil bin“, sagt sie. Das linke Knie macht ihr zu schaffen, für eine Operation ist es mit 100 zu spät. Da hilft es nicht, dass sie jeden Tag ins Foyer „Op Kor“ nach Petingen muss, weil es in Esch keine Tagesstätte für ältere Menschen gibt. Abends kommt sie dann zurück in ihre Lallinger Wohnung.

Ihrer Geburtsstadt Esch hat sie zeit ihres Lebens nicht den Rücken gekehrt. Das möchte sie auch nicht, obwohl sie es „schrecklich“ findet, was aus der Alzettestraße geworden ist.
„Ich bin ein Escher und ein Luxemburger. Und zwar ein guter Luxemburger“, sagt sie zum Abschied energisch. Catherine Zimmer ist nun eine von vier über 100-Jährigen in Esch (allesamt Damen). Wie um ihren Worten Nachdruck zu verleihen, drückt sie lange und fest die Hand ihres Besuchers. Der Exkurs in die Vergangenheit hat ihr offensichtlich Freude gemacht. Selbst wenn traurige Kapitel zwangsläufig zu einem langen Leben dazugehören.