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RadsportSportpsychologe Richlan: „Nach der Tour kann es zu Burnout und Depressionen kommen“

Radsport / Sportpsychologe Richlan: „Nach der Tour kann es zu Burnout und Depressionen kommen“
„Es kann schon sein, dass es nach der Tour de France bei Fahrern zu Burnout oder Depressionen kommen kann“, sagt Sportpsychologe Fabian Richlan Foto: Daniel Cole/dpa

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Drei Wochen belasten die Radsportler ihren Körper bei der Tour de France auf eine extreme Art und Weise – bei einigen Profis schlägt sich das auch in der Psyche nieder. Dr. Fabio Richlan ist Sportpyschologe und spricht darüber, dass Radsportler mit psychischen Erkrankungen zu kämpfen haben – darüber aber nicht in der Öffentlichkeit sprechen wollen. Der Österreicher erklärt außerdem, warum Team-interne Sportpsychologen kritisch beäugt werden und wie Radsportler ihre Schmerzgrenze verschieben.

Tageblatt: Dr. Fabio Richlan, drei Wochen Tour de France sind fast vorbei. Wie ausgebrannt sind Radsportler nach diesen Anstrengungen psychisch?

Dr. Fabio Richlan: Es kann schon sein, dass es nach der Tour de France bei Fahrern zu Burnout oder Depressionen kommt. Das habe ich schon beobachtet. Es gibt Fahrer, die sich während dieser drei Wochen völlig von der Realität abkoppeln und in ihrer eigenen Welt leben. Eine Grand Tour ist eine Extremsituation, die immer wieder Probleme ans Tageslicht bringen kann. Depressionen oder Burnout kann man noch überspielen, aber nicht während drei Wochen, bei denen man an seine Grenzen gebracht wird. Diese psychischen Probleme sind aber generell ein großes Problem im Radsport. Das hat mit der Kultur und den Strukturen des Sports zu tun: Man darf keine Schwächen zeigen, der Radsport ist sehr hierarchisch organisiert und wird klassisch Macho-mäßig dominiert. Das spielt alles eine Rolle. 

Ist es denn so, dass in den vergangenen Jahren immer mehr Radsportler den Weg zum Sportpsychologen gesucht haben?

Ja, aber dieser Trend zeigt sich in fast allen Sportarten. Die Psychologie wird immer relevanter. Doch der Radsport ist weniger offen – im Vergleich zu anderen Sportarten, bei denen die Psychologie schon länger verankert ist. Das hat sicher auch mit dem Nimbus des Radsports zu tun: Bloß keine Schwäche zeigen, wir sind die harten Männer. Man macht sich eben angreifbar, wenn man Schwäche offenbart. Das ist der Grund, warum viele Radsportler in der Öffentlichkeit nicht über psychische Belastungen sprechen wollen. Ich habe es in Teams aber bereits erlebt, dass die Profis sehr offen mir gegenüber waren. Es ist ja nicht so, dass man sich schämen müsste, wenn man zum Sportpsychologen geht. Es ist eher ein Beweis von Professionalität. 

Ist ein Sportpsychologe bereits ein fester Bestandtteil eines WorldTour-Teams?

Es gibt Teams, die Sportpsychologen haben. Aber Psychologie ist im Radsport noch nicht verankert. Man kann den Zeitaufwand des mentalen Trainings nicht mit dem körperlichen Training vergleichen. Obwohl jeder weiß und jeder sagt, dass die mentalen Aspekte viel ausmachen. Das Problem bei Team-internen Sportpsychologen ist aber auch, dass viele Sportler diese kritisch beäugen. Die Sportler denken sich dann: Das Team holt einen Sportpsychologen in die Mannschaft, damit sie mehr Leistung aus uns herausholen, und nicht, damit es uns als Mensch besser geht. Deswegen ist es für Team-interne Psychologen schwieriger zu arbeiten als für externe, die keine Verpflichtungen gegenüber dem Team haben. Es ist aber auch so, dass in Teams nicht immer unbedingt der Mensch im Vordergrund steht, sondern der Athlet. 

Womit haben die Köpfe der Radprofis besonders zu kämpfen?

Radsport ist eine Teamsportart, bei der die Mannschaftsleistung vor allem für die Insider zählt. Für die Öffentlichkeit zählt aber meist nur die Einzelleistung – und das ist entscheidend und spezifisch im Radsport. Die Funktionen in einer Mannschaft spielen eine ganz große Rolle. Das ist im Fußball beispielsweise auch so, aber nicht so extrem wie im Radsport. In der öffentlichen Wahrnehmung wird ein Etappensieg nicht als Mannschaftssieg angesehen. Die Einzelleistung wird wohl eher zu Unrecht hervorgehoben. Es gibt aber Helfer, die sich wohlfühlen und denen es lieber ist, wenn der Druck nicht komplett auf ihnen lastet. 

Jeder Sportler kommt mit anderen Problemen. Doch es gibt auch Profis, die nicht mit Problemen kommen. Ihnen geht es gut, aber sie wollen noch besser werden. Die meisten kommen aber, weil sie beispielsweise ihre Leistung unter dem enormen Druck nicht abrufen können oder weil sie Ängste haben. Ein traumatisches Sturzereignis kann ebenfalls so verarbeitet werden. Doch auch die Nachbereitung eines Rennens spielt eine große Rolle. Vor allem bei einer mehrwöchige Rundfahrt. Radsportler fragen sich, wie man nach sechs Stunden körperlicher und mentaler Belastung am schnellsten abschalten kann. Da ist die mentale Unterstützung sehr wichtig. 

Einige Radsportler nutzen den Sportpsychologen auch, um ihre Schmerzgrenze zu verschieben. Ist das möglich?

Die Schmerzgrenze hat sehr viel mit dem Mentalen zu tun. Schmerz ist etwas Subjektives. Der Stress oder die Belastung wird im Gehirn interpretiert. Die mentalen und körperlichen Komponenten würde ich dabei nicht trennen. Denn mentale Prozesse sind körperlich verankert. Beim Schmerzempfinden spielt das Gehirn eine große Rolle, man kann die Schmerzgrenze also verschieben. Es ist so, dass der Kopf meistens zuerst abschaltet, obwohl man körperlich noch könnte. Es kommt darauf an, wie das Gehirn diese Signale interpretiert. Dazu kommt aber, dass Profisportler sowieso eine andere Schmerzempfindung haben als die allgemeine Bevölkerung. Man muss sich als Profi deswegen fragen, wie man mit dem Schmerz umgeht. Dass er irgendwann kommen wird, ist vor allem bei Radsportlern wenig überraschend. 

Sportpsychologe Fabio Richlan betreut unter anderem Radprofis
Sportpsychologe Fabio Richlan betreut unter anderem Radprofis Foto: Kolarik

Wie wird das Verschieben der Schmerzgrenze trainiert?

Einerseits funktioniert das Arbeiten an der Schmerzgrenze automatisch durch das normale Training. Durch das mentale Training unterstützen wir diesen Prozess. Wir sprechen beispielsweise mit dem Fahrer und geben ihm Konzentrationspunkte. Das bedeutet: Wenn der Schmerz einsetzt, dann kann sich der Sportler auf etwas anderes konzentrieren. Das kann das Geräusch der Kette sein, ein anderes Körpergefühl oder etwas Visuelles, wo man hinschaut. Die Aufgabe des Fahrers ist es dann, die Dinge im Training umzusetzen, damit so etwas im Finale einer Etappe automatisch abgerufen werden kann. Bis man diese Schmerzgrenze verschieben kann, kann es aber Wochen bis Monate dauern.