Das Gesicht der Tour de France beginnt, Formen anzunehmen. Nach den beiden schweren Wochenendetappen, die vom Engländer Chris Froome und dem Franzosen Thibaut Pinot gewonnen wurden, liegen die Favoriten auf den ersten Plätzen.
Bradley Wiggins hat in La Planche des Belles Filles das Gelbe Trikot übergestreift und es am Sonntag auf der Etappe nach Porrentruy in die Schweiz mit Erfolg verteidigt. Wiggins führt mit 10 Sekunden Vorsprung auf Cadel Evans und 16“ auf Vincenzo Nibali. Ein Podium, wie es auch in Paris aussehen könnte, vielleicht in einer anderen Reihenfolge.
Wie dem auch ist, ein RadioShack-Fahrer, sei es nun Frank Schleck oder Andreas Klöden, kommt kaum noch für einen Rang unter die ersten drei in Frage. Frank Schleck belegt zurzeit den 15. Platz mit 3‘47“ Rückstand auf Wiggins, Klöden ist 19. mit 4‘24“ Verspätung. Seit Schlecks Missgeschick vom Freitag auf dem Weg nach Metz ist also so manches passiert.
Zu lange gewartet
„Frank geht es trotz Schulter- und Rückenschmerzen recht gut“, hatte Sportdirektor Alain Gallopin vor der Samstag-Etappe gesagt. „Natürlich ist es schlimm, Zeit durch einen Sturz zu verlieren, aber Schleck ist immer noch im Rennen, und das ist das Wichtigste. Ohne diesen Zwischenfall hätten wir eine Traumwoche (mit Fabian Cancellara als „Maillot jaune“, d.Red.) gehabt. Nach dem Zeitfahren von Besançon müssen wir eine Bestandsaufnahme machen und unsere Strategie neu definieren.“
Gallopin schien geahnt zu haben, was im Anstieg nach La Planche des Belles Filles passieren sollte. Beim Start in Tomblaine hielt er es für verfrüht, alle Hoffnungen auf Andreas Klöden zu setzen. „Franks Rückstand ist nicht so dramatisch“, meinte Gallopin, es kommen noch viele schwere Etappen. Was der französische Sportdirektor von RNT zu diesem Zeitpunkt nicht wissen konnte, war, dass Schlecks Rückstand im Verlaufe der Etappe um 1‘09“ auf 3‘43“ anschwellen sollte … obwohl er eigentlich nur helfen wollte.
Wem eigentlich? Natürlich Klöden, den man nach Schlecks Sturz etwas voreilig zum neuen Kapitän des RadioShack-Nissan-Teams erkoren hatte. Rund 4 km vor dem Gipfel musste der Deutsche locker lassen. Als „erster Leutnant“ blieb Schleck an seiner Seite, so lange bis Wiggins, Evans, Nibali und Co. anderthalb Minuten Vorsprung hatten.
Mit dieser Taktik war für RadioShack jedenfalls kein Blumentopf zu gewinnen. Also machte Schleck sich auf, um die Topfavoriten zu jagen. Er traf 1‘09 nach Etappensieger Christopher Froome, Cadel Evans, Bradley Wiggins und Vincenzo Nibali ein, aber unter dem Strich blieb, dass RadioShack nun keinen Fahrer mehr hat, um ganz vorne mitzumischen. Es sei denn, man traut dem 35-jährigen Basken Haimar Zubeldia, der als bester RNT-Fahrer auf Rang 5 der Gesamtwertung rangiert, etwas in den Alpen und Pyrenäen zu. Aber soweit sind wir noch nicht.
„Tir groupé“
In diesem Zusammenhang muss man sich eine andere Frage stellen. Warum fuhren Zubeldia und Monfort auf dem Weg nach La Planche vorne? Wäre es nicht an ihnen statt an Frank Schleck gewesen, beim „neuen Leader“ Klöden zu bleiben? Jedenfalls trug weder die Etappe vom Samstag noch das anschließende Communiqué auf der Homepage von RadioShack etwas zur Beruhigung in der Luxemburger Mannschaft bei. Andreas Klöden jedenfalls war stocksauer (siehe Seite 31).
Gestern traf die RNT-Mannschaft gleich mit vier Fahrern in der ersten Verfolgergruppe nach Etappensieger Thibaut Pinot ein (3. Gallopin, 9. Zubeldia, 10. Schleck, 11. Horner), und es ist eigentlich schade, dass man Schleck nach seinem Sturz vom Freitag so schnell ins zweite Glied stellen wollte. Es wurde nämlich augenscheinlich, dass Klöden (30. auf 2‘21“) nicht mehr mit den Besten mithalten kann. Und die „richtigen“ Berge kommen erst!
Frank Schleck bietet sich demnach noch so manche Gelegenheit, seine Tour zu retten, sei es durch einen Etappensieg oder ein Vorrücken in die Top Ten und warum eigentlich nicht in die Top Five. Er sollte jedenfalls das heutige Einzelzeitfahren über 41,5 km von Arc-et-Senans nach Besançon mit der nötigen Konzentration angehen. Zurzeit liegt er 37 Sekunden vor Klöden. Durchaus möglich, dass der Deutsche sich heute Abend wieder vor den Luxemburger geschoben hat. Einen eventuellen Rückstand aber müsste Schleck problemlos in den Alpenetappen ausbügeln.
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