Es war ein spannendes Finale, und das, obwohl es wahrscheinlich die langsamsten Schlusskilometer eines Siegers bei der diesjährigen Tour de France waren. Schon rund 20 Kilometer vor dem Ziel konnte sich die britische Mannschaft Ineos Gedanken machen, wer als Erster über die Ziellinie fährt – Richard Carapaz und Michal Kwiatkowski hatten sich einen ausreichenden Vorsprung erarbeitet. Nach 175 Kilometern von Méribel nach La Roche-sur-Foron überließ Carapaz seinem Teamkollegen Kwiatkowski den Vortritt. „Es war ein unglaublicher Tag, den ich niemals vergessen werde“, erklärte der Pole im Ziel. Ich hatte schon viele schöne Momente im Radsport, aber das war eine völlig neue Erfahrung. Auf den letzten Kilometern hatte ich Gänsehaut. Ich wusste, dass wir es schaffen, und deshalb konnten wir beide die letzten Kilometer echt genießen.“ Für Ineos, das mit dem Tour-Aus von Egan Bernal eine wahre Niederlage hinnehmen musste, war es gestern ein versöhnlicher Tag.
Das Ineos-Duo war, genau wie der Luxemburger Bob Jungels (Deceuninck-Quick Step), Teil der ersten großen Ausreißergruppe. Insgesamt 32 Radsportler waren ganz vorne vertreten, darunter auch der Träger des Grünen Trikots, Sam Bennett (Deceuninck-Quick Step). Nach 14 Kilometern zog Jungels das Tempo für seinen Sprinter an, der die Punkte dann auch souverän einsammelte. Am Fuß des ersten Bergs, dem Cornet de Roselend (1. Kategorie), betrug der Vorsprung der Ausreißer 1:20 Minuten. Das Tempo in der Ausreißergruppe war hoch, sodass die Gruppe in den Anstiegen immer kleiner wurde. Zu Beginn des dritten Anstiegs zum Col des Saisies (2. Kategorie) musste dann auch Jungels dem hohen Tempo Tribut zollen.
Nachdem später auch der Col des Aravis (1. Kategorie) überwunden war, blieben mit Carapaz, Kwiatkowski und Pello Bilbao (E/Bahrain-McLaren) noch drei Fahrer ganz vorne übrig. Kurz vorher stürzte der Sieger der 12. Etappe, Marc Hirschi (CH/Sunweb) in einer Abfahrt. Auf das verbleibende Trio wartete die Montée du plateau des Glières (Höchste Kategorie): Mit sechs Kilometern ist der Berg zwar nicht lang, doch mit 11,2 Prozent sehr steil. Während an der Spitze des Rennens Kwiatkowski auf das Tempo drückte und Bilbao Probleme bekam, attackierten aus dem Peloton Mikel Landa (ESP/Bahrain-McLaren) und Wout Poels (NL/Bahrain-McLaren).
Keine Flucht mehr für Jungels
Nachfolgend fielen weitere Favoriten aus dem Hauptfeld: Erst erwischte es Rigoberto Uran (KOL/EF Pro Cycling), dann Alejandro Valverde (ESP/Movistar) und Adam Yates (Mitchelton-Scott). 34 Kilometer vor dem Ziel schien das Rennen an der Spitze dann entschieden: Carapaz und Kwiatkowski hatten Bilbao abgeschüttelt. Das Ineos-Duo konnte die letzten Kilometer in vollen Zügen genießen, am Ende war es eine Geste der Mannschaft, Kwiatkowski gewinnen zu lassen. Damit wollten sich die Briten für seine Helferdienste in den letzten Jahren bedanken.
Landa konnte derweil vom Favoritenfeld wieder eingeholt werden. Den Sprint der Gruppe gewann Wout van Aert (B/Jumbo-Visma), der sich damit den 3. Platz sicherte. Jungels kam als 34. mit 9:19 Minuten Rückstand ins Ziel. Der Luxemburger hatte die Etappe schon im Juni besichtigt und wusste, was auf ihn zukommen würde. „Ich fühlte mich am Cormet de Roselend wirklich gut, aber Ineos hat einen intensiven Rhythmus vorgegeben. Am Ende des Tages bin ich froh, vorne gewesen zu sein, auch wenn das Resultat ausgeblieben ist“, sagte Jungels, der auf der Etappe über Rückenprobleme klagte. Für die belgische Mannschaft Deceuninck-Quick Step zählt nun, das Grüne Trikot von Bennett auch nach der letzten Etappe in Paris zu tragen. Ein weiterer Tag in der Fluchtgruppe kommt für Jungels aber nicht infrage. „Nach dem heutigen (gestrigen) Tag wird es nicht helfen, es noch mal zu versuchen. Sam benötigt alle Kräfte der Mannschaft, um das Grüne Trikot zu wahren, da sind die persönlichen Ambitionen sekundär.“
Die Kletterer räumen heute, am drittletzten Tag der Tour de France, noch einmal die Bühne für die Sprinter, die den vorentscheidenden Kampf um das Grüne Trikot ausfechten. Die kompakte Etappe von Bourg-en-Bresse nach Champagnole im Jura bietet nur eine Bergwertung der niedrigsten Kategorie in den Weinbergen von Château-Chalon, im letzten Renndrittel geht es dann bei einem Zwischensprint und im sehr wahrscheinlichen Massenspurt zur Sache.
Resultate
18. Etappe: Meribel – La Roche-sur-Foron (175 km):
1. Michal Kwiatkowski (Polen/Ineos Grenadiers) 4:47:33 Stunden, 2. Richard Carapaz (Ecuador/Ineos Grenadiers) gleiche Zeit, 3. Wout Van Aert (Belgien/Jumbo-Visma) 1:51 Minuten zurück, 4. Primoz Roglic (Slowenien/Jumbo-Visma) 1:53, 5. Tadej Pogacar (Slowenien/UAE Team Emirates) gleiche Zeit, 6. Richie Porte (Australien/Trek-Segafredo) 1:54, 7. Enric Mas (Spanien/Movistar), 8. Mikel Landa (Spanien/Bahrain-McLaren), 9. Damiano Caruso (Italien/Bahrain-McLaren), 10. Tom Dumoulin (Niederlande/Jumbo-Visma), 11. Sepp Kuss (USA/Jumbo-Visma) alle 1:54, … 34. Bob Jungels (Deceuninck-Quick Step) 9:19
Gesamtwertung nach 18 von 21 Etappen:
1. Roglic 79:45:30 Stunden, 2. Pogacar 0:57 Minuten zurück, 3. Lopez 1:27, 4. Porte 3:06, 5. Landa 3:28, 6. Mas 4:19, 7. Adam Yates (Großbritannien/Mitchelton-Scott) 5:55, 8. Rigoberto Uran (Kolumbien/EF Pro Cycling) 6:05, 9. Dumoulin 7:24, 10. Alejandro Valverde (Spanien/Movistar) 12:12, … 44. Jungels 2:27:50 Stunden
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