Fast einen ganzen Monat im Jahr befindet sich Frankreich im Jahr im Ausnahmezustand. Meistens zwischen Juni und Juli rollt der Tour-de-France-Tross durch das Hexagon – Teams, Organisatoren, Fans und Journalisten machen sich dreieinhalb Wochen auf eine große Reise. Teil von dieser Reise zu sein, ist der Traum vieler Radsportler. Dabei möchten sie nicht nur ein Teil sein, sondern zu den Protagonisten gehören und an der Startlinie stehen. So geht es auch Cédric Pries, der die ersten Etappen der diesjährigen Tour von zuhause verfolgt hat. Pries ist seit Juni 2020 Teil des Teams von Leopard Pro Cycling und ist ambitioniert. „Ich glaube, dass die Tour de France für jeden Nachwuchsfahrer das große Ziel ist“, sagt Pries. „Für mich ist die Teilnahme an dem Rennen ein Traum, auf den ich hinarbeite. Ich möchte irgendwann dort am Start stehen und im besten Fall dann auf den Champs-Elysées über die Ziellinie fahren.“
Bis zu diesem großen Ziel hat sich Pries noch einige Zwischenziele gesetzt. Eines davon muss er zwangsweise erfüllen, um bei der Tour zu starten. „Bevor ich mir Chancen auf die Tour ausrechne, muss ich ein Vertrag bei einem WorldTour-Team bekommen. Man muss sich dafür zeigen – aber man sieht, dass man es auch als Luxemburger schaffen kann.“ Seit Juni 2020 fährt der 20-Jährige bei Leopard Pro Cycling. Vorher konnte er jedoch schon vor allem mit der Junioren-Nationalmannschaft Erfahrungen bei größeren internationalen Rennen sammeln. 2019 ging er an den Start der Tour de l’Avenir (2. Ncup), die er auf der sechsten von zehn Etappen beenden musste. Damals war unter anderem Stefan Bissegger Teil des Pelotons, der aktuell bei der Tour am Start ist. Vor der Tour de l’Avenir 2019 war Pries mit einigen Schweizern im Trainingslager und lernte dabei Bissegger besser kennen. „Wir sind gut befreundet und es ist schön, ihn bei der Tour zu sehen“, sagt Pries. „Man merkt daran, dass man selbst auch kein schlechtes Niveau hat. Ich wusste damals schon vor der Tour de l’Avenir, dass Stefan bei EF unterschrieben hatte. Es war damals schon klar, dass er ein guter Fahrer ist.“
Schwerer Sturz
Pries hat relativ spät mit dem Radfahren begonnen und die Ära der Schlecks verpasst. In Erinnerung bleibt ihm doch vor allem der Trip zur letzten Etappe 2015. „Als die Fahrer über die Champs-Elysées fuhren, hatte ich Gänsehaut am ganzen Körper. Die Atmosphäre, das Podium – wenn ich das mal nach drei Wochen als Fahrer miterleben darf, dann werde ich wohl den letzten Tag nur noch mit Gänsehaut über die Straße fahren.“
Pries weiß jedoch, wie schnell der Traum von der Tour platzen kann. 2018 stürzte er bei der Course de la Paix schwer, brach sich mehrfach das Schulterblatt sowie die Rippen und hatte eine geschädigte Lunge. „Ich weiß, wie es ist, wenn von einem auf den anderen Moment alles aus sein kann“, sagt Pries. Auch deswegen studiert der Nachwuchssportler Bauingenieurswesen – doch die Ziele bleiben sportliche. „Ich bin auch deswegen doppelt motiviert, einen Profivertrag zu erhalten“, sagt Pries schmunzelnd. „Damit die Schule ein wenig in die Ecke gedrückt wird.“
So ganz kann Loïc Bettendorff die Eindrücke von Pries nicht bestätigen. Zwar sieht er die Tour de France auch als großes Highlight an, doch ihn ziehen andere Rennen mehr an. „Strade Bianche und Mailand-Sanremo sind für mich persönlich die größten Highlights“, sagt Bettendorff. „Die Klassiker oder Weltmeisterschaften interessieren mich sehr. Ich sehe mich selbst als Fahrer für Eintragesrennen. Strade sind perfekt auf mich zugeschnitten.“ Bettendorff, der amtierender Landesmeister bei den Espoirs im Cyclocross ist, verfügt aber dennoch über Tour-Erfahrung. In seiner Kindheit fuhr er mit seinem Vater im Wohnwagen zur „Grande Boucle“ und verbrachte dort einige Tage.
Ziel Nummer eins: WorldTour
„Ich schaue mir die Etappen an und verpasse nicht viel“, sagt der 20-Jährige. „Ich erinnere mich an die Etappe, die Chris Froome 2011 an der Planche des Belles Filles gewonnen hat. Auch die Etappe, bei der sich Andy Schleck und Alberto Contador am Tourmalet duellierten, bleibt mir in Erinnerung. Man sieht sie immer im Fernsehen und wenn sie dann an dir vorbeifahren, dann motiviert dich das noch mehr. Es ist ein tolles Gefühl.“ Wegen der Schule und des Trainings schafft es Bettendorff seit einigen Jahren nicht mehr, an die Strecke zu fahren. Dafür arbeitet er an seiner sportlichen Karriere – und zuletzt sorgte er mit dem dritten Platz bei den Landesmeisterschaften für Aufsehen. „Ich habe nach dem Rennen erst mal mit meinen Eltern darüber gesprochen, sie waren sehr glücklich. Am nächsten Tag habe ich dann die Zeitungen gelesen, dann konnte ich es besser realisieren. Es war für mich sehr überraschend. Wir wussten auch nicht genau, wie wir damit umgehen sollten.“
Bei den Landesmeisterschaften profitierte Bettendorff auch von der starken Mannschaftsleistung, zu der Arthur Kluckers ebenfalls beitrug. Kluckers, amtierender Landesmeister der U23 im Straßenrennen und im Zeitfahren, beendete die Landesmeisterschaft der Elite auf dem achten Platz. Er selbst befindet sich derzeit mit Michel Ries und Kevin Geniets im Trainingslager in Tignes. Am Sonntag wird das luxemburgische Trio die Tour deswegen vor der „Haustür“ vorbeifahren sehen, wenn Tignes Zielort der neunten Etappe sein wird. „Ich war erst einmal bei der Tour“, sagt Kluckers. „Ich verfolge die Etappen. Morgens trainiere ich meistens und schaue dann nachmittags das Finale.“ Für den 21-Jährigen zählt die Tour zu seinen „Kindheitsträumen“. Kluckers hat vor allem die Zeit der Schleck-Brüder geprägt. „Ich war damals neun oder zehn Jahre alt. Ich habe es sehr intensiv verfolgt, weil Fränk und Andy nicht weit weg von meinem Wohnort herkommen.“
Kluckers beendete 2019 die Tour de l’Avenir auf dem 66. Platz, schrammte in diesem Jahr bei der Friedensfahrt mit dem vierten Platz jedoch knapp am Podest vorbei. Sein nächstes Ziel, und dieses definiert er klar, ist die WorldTour. „Das ist mein Ziel Nummer eins. In den nächsten zwei Jahren würde ich gerne diesen Schritt machen.“ Und dann die Tour? „Sollte ich es in die WorldTour schaffen, muss man sich erst mal neu orientieren. Die Tour ist das größte Rennen und sehr speziell. Deswegen bleibt sie ein Traum.“
Das Leopard-Trio hat bei den Landesmeisterschaften gezeigt, dass es mit den WorldTour-Profis mithalten kann. Für Kluckers, Pries und Bettendorff geht es nun darum, sich weiter im internationalen Geschäft zu beweisen – um sich dann für die WorldTour und Tour de France zu empfehlen.
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