Bob Jungels scheint wieder der Alte zu sein. Am Team-Bus nach der 6. Etappe lächelte der 29-Jährige nach einer schwierigen Etappe und hatte sogar noch den ein oder anderen Spruch im Repertoire. „Wir sind 220 Kilometer in viereinhalb Stunden gefahren. Manche Menschen brauchen mit dem Auto länger dafür“, schmunzelte Jungels.
Seit der Tour de Suisse, die er auf dem fünften Platz beendete, scheint seine Formkurve immer weiter nach oben zu zeigen. Bei der Tour de France fuhr er beim Zeitfahren zum Auftakt auf den 11. Platz, für Ben O’Connor war er auf der Kopfsteinpflaster-Etappe am Mittwoch eine große Unterstützung und auch auf dem 6. Teilstück am Donnerstag war Jungels an der Seite des Australiers, ehe dieser komplett abreißen lassen musste. „Ich denke, von meinen Leistungen und Werten her bestehen keine Zweifel, dass ich wieder der Alte bin“, sagte Jungels. „Teilweise sind die Werte sogar besser. Ich fühle mich wirklich gut.“
Die Etappe von Binche nach Longwy, die längste der diesjährigen Tour (219,9 Kilometer), begann furios. In der ersten Rennstunde spulte das Hauptfeld 52,5 Kilometer ab – Ausreißversuche wurde im Keim erstickt. Auch Jungels versuchte, sich abzusetzen. „Es war extrem schnell. Ich hatte die Aufgabe, in eine Echappée zu springen“, sagte der Luxemburger, der es jedoch nicht schaffte, sich entscheidend abzusetzen. „Das hat viel Energie gekostet“, resümierte Jungels.
Attacken gab es auch immer wieder von Wout van Aert (Jumbo-Visma), die unter anderem auch von Tadej Pogacar (UAE) persönlich gekontert wurden. Erst nach 87 Kilometern schaffte es Van Aert, zusammen mit Jakob Fuglsang (Israel-Premier Tech) und dem jüngsten Tour-Starter Quinn Simmons (Trek-Segafredo). Das Trio arbeitete sich zwischenzeitlich fast vier Minuten Vorsprung heraus.
Geniets gibt Entwarnung
Das Peloton ließ das Gelbe Trikot nicht ziehen; elf Kilometer vor Schluss wurde van Aert als letzter übrig gebliebener Fahrer geschluckt. Der Belgier wurde völlig entkräftet durchgereicht und verlor sein Leadertrikot. Im Finale waren mit der Côte de Pulventeux (800 m à 12,3 Prozent) und der Côte des Religieuses (1,6 km à 5,8 Prozent) zwei schwierige Anstiege zu bewältigen. Mit dabei waren immer noch Jungels und auch Kevin Geniets.
Geniets hatte es sich zur Aufgabe gemacht, Gaudu in eine gute Position zu bringen – das gelang dem Profi von Groupama-FDJ auch, bis er acht Kilometer vor dem Ziel stürzte. „Es war immens hektisch“, sagte Geniets. „Ich sollte der letzte Fahrer für Gaudu sein, um ihn im Sprint ideal zu platzieren. Bis zum Sturz verlief alles ideal, ich war für das Finale sehr motiviert. Ein Fahrer fiel dann aber vor mir, ich konnte nicht mehr ausweichen.“ Der 25-Jährige gab gleichzeitig Entwarnung. „Ich bin auf die Hände gefallen, bei mir ist alles in Ordnung.“
Während Geniets sich wieder aufrappelte, fuhr Jungels in der ersten Gruppe weiter mit. Der Ag2r-Citroën-Profi musste zwischenzeitlich auf Kapitän Ben O’Connor warten, der schon im ersten Anstieg zurückfiel. „Es war eine Arrivée, die mir eigentlich entgegenkam“, sagte Jungels. „Auf dem vorletzten Anstieg habe ich auf Ben gewartet und kam dann zurück.“
Am Ende ließ Pogacar seinen Konkurrenten nicht den Hauch einer Chance. Der Slowene sprintete zum Etappensieg – und zum Gelben Trikot. Zweiter wurde Michael Matthews (Team BikeExchange-Jayco), Dritter Gaudu.
Jungels fuhr letztendlich mit 26 Sekunden Rückstand als 27. über den Zielstrich. Am letzten Berg merkte er die Strapazen des Donnerstags, aber auch der Tage davor. „Ich habe gestern (Mittwoch) schon den ganzen Tag gearbeitet. Ich denke, wenn wir mal einen Tag rausnehmen würden und dann an einem Tag richtig zuschlagen, würde es mehr Sinn machen. Für mich persönlich hat es am Ende leider nicht gereicht, ganz vorne anzukommen. Meine Beine sind gut, ich musste zuletzt aber zu viele Sachen machen“, erklärte Jungels.
Nachdem O’Connor bereits auf der Kopfsteinpflaster-Etappe viel Zeit verlor, büßte der letztjährige Vierte der Tour am Donnerstag 2:37 Minuten auf Pogacar ein. „Ben ist raus“, sagte Jungels in Bezug auf die Ambitionen des Australiers für das Gesamtklassement. „Es müsste ein Wunder geschehen, damit er wieder vorne rankommt. Aurélien (Paret-Peintre) ist aber noch gut platziert (15. im Gesamtklassement auf 1:21, Anm. d. Red.). Wir müssen gucken, wie er sich schlägt, vor allem auf der nächsten Bergetappe. „Ich hoffe, dass in der Mannschaft nun die richtigen Entscheidungen getroffen werden.“ Jungels selbst liegt in der Zwischenwertung mit 4:59 Minuten Rückstand auf Platz 39. „Ich muss es einen Tag ein bisschen langsamer angehen, sonst wird es eine lange Tour.“
Kirsch auf „Sparflamme“
Während Jungels und Geniets also doch zufrieden einen Haken hinter die 6. Etappe machen können, ist die Tour de France für Alex Kirsch beendet. Nach Problemen mit dem Magen gab der Profi von Trek-Segafredo das Rennen am Donnerstag auf. Schon früh hatte der 30-Jährige abreißen lassen müssen –zu hoch war das Tempo. „Es ist sehr schwer“, sagte Kirsch am Teambus. „Ich habe seit sechs Tagen gekämpft und in den letzten drei Tagen keine Besserung gespürt. Ich hatte gehofft, dass die Etappe einfach wird und damit wollte ich durchkommen. Aber ich kann nichts essen und laufe deswegen auf Sparflamme.“
Die erste Teilnahme beim größten Radrennen der Welt hatte sich Kirsch anders vorgestellt. „Enttäuscht bin ich grundsätzlich nicht. Ich habe aus meiner Sicht das Beste gemacht. Ich bin aber traurig, weil ich wochenlange oder monatelange Arbeit hinter mir habe. Viel Freude auf dem Rad hatte ich hier nicht.“
Am Freitag werden mit Jungels und Geniets also nur noch zwei Luxemburger bei der Tour de France starten. Auf das Peloton wartet der nächste Kracher – vor den Alpen. Der Anstieg zur Planche des Belles Filles in den Vogesen ist nicht lang, auf den letzten beiden der sieben Steiguns-Kilometer aber sehr steil – die Rampe bietet bis zu 24 Prozent.
Im Überblick
6. Etappe: Binche – Longwy (219,9 km):
1. Tadej Pogacar (Slowenien/UAE Team Emirates) 4:27:13 Stunden, 2. Michael Matthews (Australien/Team BikeExchange-Jayco), 3. David Gaudu (Frankreich/Groupama-FDJ), 4. Thomas Pidcock (Großbritannien/Ineos Grenadiers), 5. Nairo Quintana (Kolumbien/Arkea Samsic), 6. Dylan Teuns (Belgien/Bahrain-Victorious). 7. Jonas Vingegaard (Dänemark/Jumbo-Visma), 8. Daniel Felipe Martinez (Kolumbien/Ineos Grenadiers), 9. Primoz Roglic (Slowenien/Jumbo-Visma), 10. Romain Bardet (Frankreich/Team DSM) alle gleiche Zeit, … 29. Bob Jungels (Luxemburg(Ag2r-Citroën) 0:26 zurück, … 126. Kevin Geneits (Luxemburg/Groupama-FDJ) 7:28
DNF Alex Kirsch (Luxemburg/Trek-Segafredo)
Gesamtwertung nach 6 von 21 Etappen:
1. Pogacar 20:44:44 Stunden, 2. Powless 0:04 Minuten zurück, 3. Vingegaard 0:31, 4. Yates 0:39, 5. Pidcock 0:40, 6. Thomas 0:46, 7. Alexander Wlassow (Russland/Bora-hansgrohe) 0:52, 8. Martinez 1:00, 9. Bardet 1:01, 10. Gaudu 1:02, … 38. Jungels 4:59, … 81. Geniets 12:43
Nie undankbar gegen Vincent LAVENU !
In schwierigen Zeiten stand er zu Bob JUNGELS. Gewiss durch falsche Entscheidung in der Kopfsteinflasteretappe hat Bob rund drei Minuten verloren. Ohne dies wäre er jetzt nahe an den ersten Zehn. Die TdF beginnt erst heute mit den Bergen. Kevin GENIETS erfüllt mehr als seine Helferrolle. Mein Mitgefühl für das Drama von Alex KIRSCH, wenn der Wille keinen Weg mehr findet !
Die TdF ist und bleibt die Tour der Leiden !