Das Aus der gesamten Chefetage von Juventus Turin rund um Vereinsboss Andrea Agnelli wühlt den italienischen Fußball auf. Nach einem Erfolgsjahrzehnt stolperte der einst gefeierte Spross der Agnelli-Dynastie beim Rekordmeister über mutmaßliche Finanztricksereien in Millionenhöhe. Staatsanwaltschaft und Börsenaufsicht ermitteln, Anklagen werden in Kürze erwartet. Von einer „neuen Ära“ schrieb die Turiner Zeitung Tuttosport am Dienstag wenige Stunden nach der Juve-Mitteilung über den Rücktritt des gesamten Vorstandes. Die Gazzetta dello Sport sah in den Vorgängen eine „Revolution“.
Als neuer Generaldirektor wurde Maurizio Scanavino bestimmt, Präsident soll Gianluca Ferrero werden. Beide gelten als Vertraute von Andrea Agnellis Cousin John Elkann: Der Chef des europäischen Autoriesen Stellantis, von Ferrari und der familieneigenen Investmentgesellschaft Exor wird Experten zufolge der neue starke Mann bei Juve.
Fans hoffen indes auf eine Rückkehr alter Turiner Fußball-Heroen, allen voran Alessandro Del Piero. Der Weltmeister von 2006 sagte am Montagabend als WM-Experte des Senders BeIN Sports: „Mal schauen, was passiert. Mich hat noch niemand angerufen.“ Der einstige Stürmer erzählte, dass er durch seine 19 Spielzeiten bei der „Alten Dame“ eine „sehr tiefe“ Verbindung zum Verein habe, mit dem er „alles durchgemacht“ habe. Darunter war auch der Zwangsabstieg in die Serie B 2006 nach dem Skandal um Schiedsrichtermanipulationen.
Anklage vor Weihnachten
Solche eine Dimension habe der neue Fall nicht, hoffte Del Piero. Die Staatsanwaltschaft Turin führt 16 Beschuldigte – darunter Agnelli, dessen Vizepräsidenten Pavel Nedved und Geschäftsführer Maurizio Arrivabene – und wirft ihnen unter anderem Bilanzfälschung und Aktienmanipulation vor. Berichten zufolge könnte noch vor Weihnachten Anklage erhoben werden, für den Frühjahr werde dann der Prozessbeginn erwartet.
In der Causa geht es einerseits um fingierte Spielerbewertungen. Dem Rekordmeister wird vorgeworfen, einigen seiner Profis bewusst falsche Marktwerte zugeschrieben zu haben – allein in den Jahren 2018, 2019 und 2020 soll die Bilanz so um 115 Millionen Euro beschönigt worden sein. Das Sportgericht des italienischen Fußballverbandes hatte Juve und andere Vereinen wegen dieser Vorwürfe eigentlich freigesprochen – durch neue Erkenntnisse der Staatsanwaltschaft wird das Verfahren aber möglicherweise wieder aufgenommen, wie am Dienstag spekuliert wurde.
Darüber hinaus wurde die Börsenaufsicht (Consob) wegen der jüngsten Bilanzzahlen aktiv. Nach Ansicht der Prüfer hatten die Turiner während der Corona-Pandemie nicht regelkonform gehandelt, um die Jahresabschlüsse zu retten. Den Juventus-Bossen wird vorgeworfen, sich mit den Spielern offiziell zwar darauf geeinigt zu haben, das Gehalt zu kürzen. Allerdings sei den Profis dieser Betrag dann über geheime Deals doch wieder ausgezahlt worden, ohne dies in den Jahresabschlüssen zu vermerken. Zuletzt vermeldete der Verein für die Saison 2021/22 einen Rekordverlust von 254,4 Millionen Euro.
Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können