Vor einigen Monaten hat die Taube einen Jaguar adoptiert. Es war noch ein wenig Zeit bis zur Fußball-WM in Katar, da besuchte Brasiliens Stürmer Richarlison (Spitzname: die Taube) das Pantanal. In dem riesigen Sumpfgebiet leben allerhand Tiere, auch Jaguare, nur dass man die scheuen Großkatzen kaum zu Gesicht bekommt. Richarlison aber hatte bei seinem Aufenthalt Glück. Er sah einen, und er adoptierte einen. Um darauf aufmerksam zu machen, dass es wichtig sei, der Natur zu helfen, begründete der 25-Jährige. Es ist nur eine kleine Geschichte. Aber sie zeigt, dass Richarlison etwas anders tickt.
Drei Treffer sind dem Stürmer der Tottenham Hotspur beim Turnier in Katar bislang gelungen. Beim ersten staubte er im Auftaktspiel gegen Serbien trocken ab. Beim zweiten legte er sich eine halbhohe Flanke mit dem linken Fuß zurecht, drehte sich um die eigene Achse – und versenkte den Ball mit rechts per Seitfallzieher zum 2:0-Endstand gegen die Serben. Es ist bis jetzt das schönste Tor der Weltmeisterschaft, und es wird auch danach zu den schönsten zählen. Bei der 4:1-Gala im Achtelfinale gegen Südkorea zeigte er dann noch mal seine Klasse. Viermal jonglierte er den Ball mit dem Kopf, dann passte er ihn weiter, bekam ihn nach zwei Stationen zurück und traf erneut. Danach tanzte die Taube.
Richarlison stürmte zur Trainerbank, um Nationalcoach Tite zum Mitmachen zu animieren. Es folgte eine skurrile Aufführung, die eine Taube nachahmen sollte. In Brasilien ist Richarlison für seinen Taubentanz bereits bekannt. Andere kritisieren die „Seleção“ für ihre exzessiven Jubelchoreografien. „Respektlos“ sei das dem Gegner gegenüber, spottete danach der frühere Champions-League-Sieger Roy Keane im englischen Fernsehen. Das stört die Brasilianer aber nicht. „Wir werden weiter tanzen“, kündigte Flügelstürmer Raphinha an.
Diese Haltung passt gewissermaßen auch zu Richarlison. Denn der Angreifer war noch nie jemand, der sich groß um die Meinungen anderer geschert hat. Wer ihm in Doha im Trainingszentrum der Brasilianer oder nach den Spielen begegnet, sieht meist einen jungen Mann mit ausdruckslosem Gesicht. Seine Mimik verändert sich nur, wenn er breit lächelt, was zumindest außerhalb des Platzes nicht so oft zu sehen ist. Mit Teilnahmslosigkeit sollte das aber nicht verwechselt werden. Ganz im Gegenteil: Anders als der Rest der aktuellen Mannschaft hat Richarlison sich schon mehrfach zu Themen wie Rassismus, Armut oder der Zerstörung der Natur geäußert.
Während der abgewählte rechte Präsident Jair Bolsonaro Corona als „kleine Grippe“ bezeichnete, rief Richarlison die Menschen in seiner Heimat mehrfach zum Impfen auf. Den besonders von der Pandemie betroffenen Menschen spendete er Essenskörbe und Sauerstoffflaschen, um das Gesundheitssystem vor dem Kollaps zu bewahren. Später folgte die Adoption des Jaguars, den er auf den Namen „Acerola“ taufte. „Er ist nicht nur auf dem Platz ein Held, sondern auch außerhalb“, sagte der Aktivist René Silva der Zeitung The Guardian. Er sei ein „Musterbürger“, twitterte der Politiker Paulo Pimenta.
Anders als der offene Bolsonaro-Unterstützer Neymar ist Richarlison jemand, mit dem sich deutlich mehr Brasilianer identifizieren können. Er spaltet nicht, er vereint. Auch, wenn er selbst gar nicht so gerne darüber sprechen will. Das tut er lieber auf dem Platz. Bevorzugt wieder am Freitag (16.00 Uhr) im Viertelfinale gegen Kroatien. (dpa)
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