1. Die gesellschaftlichen und sozialen Zustände ergeben sich nirgends auf dieser Welt „von selbst“, sondern aus dem politischen Handeln. Und dieses wurzelt im menschlichen Willen und Können.
Alvin Sold asold@tageblatt.lu
2. Im Westen grassiert das Desinteresse an den politischen Dingen. Aber schon Aristoteles wusste: Wenn der Einzelne, aus welchen Gründen auch immer, der Agora fernbleibt, tummeln sich dort solche, die nicht im allgemeinen Interesse regieren.
3. Auch in Luxemburg ist die Beteiligung an den politischen Entscheidungsprozessen für eine wachsende Zahl von Wahlbürgern keine Priorität. Motto: „Die da oben machen sowieso, was sie wollen; wir werden ja nicht gefragt.“
4. Und so kommt es, wie es kommen muss: Das demokratische System funktioniert nicht mehr wie ursprünglich gedacht. Man fühlt sich von der Politik düpiert und manipuliert; der Eindruck von Machtlosigkeit gegenüber der Regierung und „Brüssel“ wird noch dadurch verstärkt, dass die Parteien ihr Spitzenpersonal nicht erneuern.
5. Referenden wie das vom 7. Juni könnten die halb tote Demokratie Luxemburger Machart beleben helfen. Beispielsweise, indem es in Zukunft unmöglich würde, dieselbe Person mehr als zehn aufeinanderfolgende Jahre im Ministeramt zu belassen.
6. Somit stünden die Parteien unter dem wohltuenden Stress, ihr oberstes Kaderpersonal laufend zu erneuern und ständig Ausschau nach kompetenten Seiteneinsteigern zu halten. Das Perverse an der geltenden Praxis ist ja, dass die vermeintlich Unersetzlichen nicht freiwillig abtreten und ihr Gefolge den Aufstand nur hinter vorgehaltener Hand probt. Wie zuletzt bei Juncker, dem die CSV noch zu Füßen kroch, als er längst untragbar war.
7. Die lebendige Demokratie sollte in heutiger Zeit aus dem tatsächlich reichen Reservoir von fähigen Frauen und Männern schöpfen können, die nicht bereit sind, sich in die endlose Warteschlange hinter dem amtierenden Superstar einzureihen.
Man komme nicht mit dem Verweis, niemand könne, was dieser oder jener Langzeitminister bietet. Auch ein Kleinstaat wie Luxemburg verfügt in seiner Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst über sehr gute Köpfe, die sich ansprechen ließen, wenn die parteiliche Kür ohne die famose Anbiederungs-Ochsentour auskäme.
8. Der durch die zeitliche Begrenzung genau berechenbare Wechsel und die sich daraus ergebenden Zwänge (sogar für die Megapartei CSV) sollten im Kontext dieses Referendums auch eine andere Debatte eröffnen.
Es darf unseres Erachtens nicht sein, dass der Minister spätestens nach zehn Jahren geht, vielleicht in seiner zweiten Mandatsperiode Grundlegendes verändert, und dass die Beamten, gemeint sind die Chefs, unverrückbar bleiben. Auch auf dieser Ebene macht eine Regelung Sinn, welche den Elan fördert. Stabilisierende Kontinuität ist gut, kontinuierliche Lähmung schlecht.
9. Was hätte Juncker nach zehn Jahren getan? Kammer? Brüssel? Staatsrat? Anwaltskanzlei? Consultancy?
Egal, eigentlich. Die Sorge gilt dem Land, nicht der Karriere.
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