Letztere Formulierung wird, wenn sie heute im allgemeinen Sprachgebrauch verwendet wird, allenfalls zynisch ausgelegt. Weil eben nicht jeder das bekommt, was er verdient oder was er meint, verdienen zu müssen. Die Gerechtigkeitsfrage und ihre Antwort begleiten demnach die Menschheit seit Anbeginn und werden sie wohl nie verlassen.
Sascha Bremer sbremer@tageblatt.lu
Komischerweise scheint sie die beiden letzten Jahrzehnte in Europa ihre ansonsten zentrale Position in der Politik eingebüßt zu haben.
Das hängt in erster Linie damit zusammen, dass sie von vielen Meinungsmachern bewusst vernachlässigt wurde – auch wenn die Schere zwischen Arm und Reich in derselben Periode auseinanderging, oder gerade deshalb. Die Gerechtigkeitsfrage konnte einige Zeit lang sehr effektiv zur Seite geschoben werden. So langsam kommt sie – es geht nicht mehr anders, Krise sei Dank – wieder dahin zurück, wo sie hingehört.
Wer zahlt bislang für die Überschuldung in Spanien, Griechenland, Irland, Portugal, usw.? Die Antwort fiel immer ziemlich eindeutig und einseitig aus: die Bürger. Und unter ihnen mussten vor allem die den höchsten Preis (Arbeitslosigkeit, Armut, etc.) zahlen, die am schwächsten waren.
Die Debatte wurde auf relativ schäbigem Niveau geführt – man erinnere sich z.B. an den Titel der Bild „Ihr griecht nix, ihr Griechen“, oder die Mär von den faulen Südeuropäern. Bis letzte Woche, als das größte deutsche Wirtschaftsforschungsinstitut, das ehrenwerte DIW, mit einem „revolutionären“ Vorschlag aus der Mottenkiste der Geschichte nach vorn preschte und europaweit Erstaunen hervorbrachte.
Das DIW regte einmalige Abgaben und Zwangsanleihen bei Vermögenden zur Bekämpfung der Schuldenkrise an. „Damit wäre ein wichtiger Schritt zu einer Konsolidierung der öffentlichen Haushalte getan, und wachstumsfördernde Reformen würden erleichtert“, hieß es aus dem Institut. Dieser Vorschlag schlug wie eine Bombe ein und einschlägige Kreise in Deutschland und anderswo sahen bereits den Kommunismus wieder auferstehen. „Dies ist Enteignung“, erzürnten sich einige Medien und vergaßen dabei, dass es sich lediglich um eine Steuer handelt. Aber mittlerweile hat sich in Europa ja bei vielen die angelsächsische Sicht durchgesetzt, dass alle Art von Besteuerung letztlich Enteignung ist. Eine Tatsache, die so manche Steueroptimierer ziemlich reich gemacht hat – wir wollen hier keine Namen nennen.
Unausweichliche Debatte
Es ist dies lediglich eine Variante, um einen Ausweg aus der Schuldenmisere zu finden. Eine andere ist eine schleichende Inflation, samt niedrigen Zinsen. Dieser Weg ist in seinem Wesen allerdings weit von dem entfernt, was man gemeinhin als soziale Politik betrachten kann. Denn genau dies dürfte besonders den „kleinen Mann“ betreffen. Eine Erfahrung, die einige bereits in Luxemburg deutlich zu spüren bekamen.
Der jetzt nach Frankfurt wechselnde Yves Mersch wurde die letzten Jahre nicht müde, genau darauf hinzuweisen, dass der „Inflationsweg“ wegen dieser Konsequenzen der falsche ist.
Die Antwort auf die Frage „Wer zahlt?“ wird letztlich auch über den Fortbestand der Demokratie und des (Sozial)-Friedens in Europa entscheiden. Es wird Zeit, dass sich alle Menschen dessen bewusst werden. Es ist zu hoffen, dass an diese unausweichliche Debatte noch sachlich und vor allem vernünftig herangegangen werden kann.
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