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Welcher Wahlkampf?

Welcher Wahlkampf?
(dpa)

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Was werden die Europäer während des EU-Wahlkampfes zu hören bekommen, mit welchen Themen wollen die Parteien in den 28 Mitgliedstaaten um Stimmen werben, oder zumindest dazu beitragen, dass sich die Bürger dazu aufrappeln, zur Wahl zu gehen?

Denn in den meisten EU-Staaten – außer Belgien und Luxemburg – gibt es keine Wahlpflicht. Und angesichts der Entwicklung seit Beginn der ersten Direktwahl des Europäischen Parlaments im Jahre 1979, die eine stetig fallende Wahlbeteiligung aufweist, ist zu befürchten, dass zwischen dem 22. und 25. Mai noch weniger Wähler in der EU den Weg zu den Urnen finden.

Guy Kemp gkemp@tageblatt.lu

Nun haben sich die großen politischen Familien darauf geeinigt, einen Spitzenkandidaten aufzustellen, der das Amt des EU-Kommissionspräsidenten antreten soll, wenn ihre politische Gruppierung als Siegerin aus den Wahlen hervorgehen sollte. Womit diese Idee insofern sinnvoll ist, da im Lissabon-Vertrag die Vorgabe gemacht wird, dass eben bei der Besetzung des Brüsseler Postens das Resultat der Europawahlen zu berücksichtigen sei.

Und da sich bei Wahlen oft gezeigt hat, dass Personen zumindest genauso gut beim Wahlvolk ankommen wie Themen oder ebenso langatmige wie unüberschaubare Parteiprogramme, schien es auf der Hand zu liegen, europaweit Gesichter zu zeigen, die für sich und ihre Partei werben.

Es fehlt eine europäische Öffentlichkeit

Allerdings ist man noch weit davon entfernt, mit den Spitzenkandidaten einen europaweiten Wahlkampf führen zu können wie etwa ein Präsidentschaftswahlkampf in den USA.
Zu sehr sind die Europäer noch auf ihre nationalen Parteien und Kandidaten fixiert. Zudem fehlt es nach wie vor an einer europäischen Öffentlichkeit. Bislang wird das Publikum höchstens zu einer Fußball-EM oder dem European Song Contest medial zusammengeführt. Immerhin: zwei Debatten wird es geben, an denen die sechs Spitzenkandidaten teilnehmen werden. Darüber hinaus werden im deutschen Fernsehen die beiden aussichtsreichsten Kandidaten Martin Schulz und Jean-Claude Juncker zweimal aufeinandertreffen. Und das war es dann schon. Denn auch die europäischen Parteien konnten sich in diesem Wahljahr noch nicht dazu durchringen, einen europaweiten Wahlkampf zu führen. Wohl geben sich manche von ihnen mittlerweile ein gemeinsames Programm. Die Gestaltung der Kampagnen bleibt aber weiterhin auf der Ebene der nationalen Parteien. Da touren nicht herausragende Politiker aus den verschiedenen nationalen Parteien mit ihrem europäischen Spitzenkandidaten durch Europa und versuchen, für ihre Themen und Inhalte zu werben.

Die einzigen, die eine gemeinsame Botschaft auf dem Kontinent verbreiten, sind die Europa-Skeptiker bis hin zu den Europa-Gegnern: möglichst wenig Europa und mehr Nationalstaat, weniger Freizügigkeit, mehr Grenzen und Barrieren. Dabei verfügt dieser heterogene Haufen an Gruppierungen à la Front national, FPÖ oder UKIP, die damit auch noch viel Aufmerksamkeit erregen, nicht einmal über solch ausgewachsene Strukturen und Mittel, wie die großen Parteienfamilien es tun.

Dabei wäre es gerade jetzt an der Zeit, nach den sich über die volle Legislaturperiode hingezogenen Krisenjahren, den Bürgern Perspektiven zu bieten, wie es weitergehen soll in einem vereinten Europa. Denn es kann immer weniger davon ausgegangen werden, dass dieses Europa als selbstverständlich hingenommen wird.