Headlines

Völlig legaler Betrug

Völlig legaler Betrug

Jetzt weiterlesen! !

Für 0.99 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Ein Gutes hat das Gezerre um das transatlantische Freihandelsabkommen TTIP ja schon heute: Es hat ein gerüttelt Maß an Scheinheiligkeit im europäischen Lebensmittelrecht offengelegt.

Natürlich wäre es weder sinnvoll noch wünschenswert, wenn demnächst völlig legal «Tiroler Schinkenspeck» aus den USA, dem größten Schweinefleischexporteur der Welt, in europäischen Regalen der Kundschaft harren würde, andererseits ist es aber so, dass gerade in der EU viele gesetzlich geschützte regionale Spezialitäten den Tatbestand des Etikettenschwindels erfüllen.

Francis Wagner fwagner@tageblatt.lu

Wenn etwa das Fleisch für «Schwarzwälder Schinken» völlig legal aus nordeuropäischen Mastfabriken bezogen werden darf, obwohl die meisten Verbraucher verständlicherweise der Meinung sind, dass die Borstenviecher, aus denen dieses Produkt hergestellt wird, inmitten der prachtvollen Landschaft jenes süddeutschen Mittelgebirges dick und fett werden durften, dann stellt dies eine völlig legale Form des Betrugs dar.

Bullshit-Alarm!

Wie wichtig geschützte Bezeichnungen sind, kann man anhand des traurigen Beispiels des Camemberts leicht nachvollziehen. Nur der in der Normandie aus Rohmilch hergestellte Camembert steht unter dem Schutz einer «Appellation d’origine protégée» (AOP), nämlich der «Camembert de Normandie». Wer einfach nur «Camembert» ohne «de Normandie» fabrizieren will, kann mehr oder weniger tun, wie er grad lustig ist.

Und so geschieht es dann, dass die Supermarkt-Kühltruhen von «Camemberts» bevölkert werden, bei deren «Genuss» man sich fragt, was zum Teufel einen Menschen wohl dazu bewegt haben mag, den essbaren Eishockey-Puck zu entwickeln und ihn dann heimtückischerweise auch noch an ebenso Arg- wie Ahnungslose zu verfüttern.

Besser noch als durch AOPs wird der Konsument beim Einkauf ohnehin durch seinen eigenen kritischen Geist geschützt: Wenn z.B. auf einer Käseverpackung eine resche Sennerin im karierten Dirndl einem alpinen Rindvieh ans Euter langt – jene Sorte Image d’Epinal, die Naturverbundenheit und urwüchsige Qualität suggerieren soll –, dann muss beim kritischen Konsumenten der Bullshit-Alarm schrillen: Achtung, Industriefraß: Die hier verwendete Milch hat nie eine Alm gesehen!

Doch, wie man leider feststellen muss: Wäre diese Art von Werbekitsch nicht massiv erfolgreich, dann gäbe es ihn nicht.

Die Welt will betrogen werden. Ein Wunsch, dessen Erfüllung ihr vollumfänglich zu gewähren, die Industriefraßmafia es sich mit allergrößtem Vergnügen angelegen sein lässt.