Headlines

TTIP nicht vergessen

TTIP nicht vergessen

Jetzt weiterlesen! !

Für 0.99 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Das geplante Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und den USA, das sogenannte TTIP oder auch Tafta, bei dem es sich weniger um ein Abkommen zur Absenkung der Zollbestimmmungen als vielmehr um eine Egalisierung der Regulierungssysteme für die Wirtschaft handelt, wurde während der Europawahlen von der Zivilgesellschaft zu einem der großen Themen des Wahlkampfs gemacht.

Doch auch nach den EU-Wahlen gilt es, die Risiken des TTIP nicht zu vergessen.

Das dubiose Abkommen sollte im stillen Kämmerlein ausgetüftelt werden. Das, was bislang durchsickerte, ist mehr als bedenklich. Die Werbeparolen und Propagandafloskeln der EU und der Vereinigten Staaten sind mangelhafte Argumentationen, die in keinem Verhältnis zu den ernsthaften Besorgnissen stehen, zu denen das TTIP Anlass gibt.

Das große Versprechen des Freihandelsabkommens als leistungsstarke Jobschaffungsmaschine ist schlichtweg eine grandiose Übertreibung. Die Wachstumsberechnungen, bei denen es sich nur um rein theoretische Prognosen handelt, sagen ein Plus von maximal 0,5 Prozent Wirtschaftswachstum voraus. Das gilt aber für einen Zeitraum von zehn Jahren. Pro Jahr ergibt das lediglich 0,05 Prozent.

Von einem wirtschaftlichen Wundermittel kann also keineswegs die Rede sein.

Wer profitiert?

Folglich stellt sich die Frage, welchen Interessen dieses TTIP denn wahrhaftig dient und wer eigentlich von dem Ganzen profitiert? Die Antwort der Kritiker ist eindeutig: die Großkonzerne.

Neben dem Risiko einer Absenkung der EU-Standards in puncto Konsumentenschutz sowie bei ökologischen und sozialen Kriterien stellt sich beim TTIP ebenfalls die Frage der Demokratie. Die Einführung von internationalen Schiedsgerichten würde eine Aushebelung der nationalen Gerichte bedeuten. Diese Schiedsgerichte sollen über den Investitionsschutz urteilen. Das bedeutet, dass ein Investor einen Staat verklagen kann, wenn er der Ansicht ist, dass eine Gesetzgebung seinem Geschäft schadet. Die Existenz solcher Schiedsstellen ist übrigens nichts Neues. Es gibt sie bereits in anderen Abkommen.

Ursprünglich sollte der Investitionsschutz das Engagement von Unternehmen in Entwicklungsländern, in denen es kein unabhängiges und vertrauenswürdiges Rechtssystem gab, fördern. Die Analyse der bereits gefällten Urteile zeigt eine eindeutige Tendenz: Im Jahr 2012 wurden 70 Prozent der Fälle im Interesse der Unternehmen entschieden.

Vergangene Woche übertitelte die deutsche Referenzzeitung Die Zeit einen Artikel „Freifahrtschein für Lobbyisten“. EU und USA planen offenbar ein Supergremium, das Industrievertretern exklusiven Zugang zu Gesetzesvorhaben einräumen soll. „Im Regulatory Cooperation Council RCC (Rat zur regulatorischen Kooperation) sollen Gesetzesvorhaben eng mit Lobbygruppen abgestimmt werden, ohne dass nationale Parlamente rechtzeitig einbezogen werden können“, schreibt Die Zeit.

Die Diskussionen rund um das TTIP (und das Freihandelsabkommen EU-Kanada, das als trojanisches Pferd bei den umstrittenen Investmentschutzklauseln fungieren könnte) müssen zudem in einem breiteren politischen und sozialen Kontext betrachtet werden: dem Kontext einer Gesellschaft, in der das Primat der Wirtschaft über die Politik immer weiter wächst, einer ruinösen EU-Austeritätspolitik, die die soziale Misere weiter gefördert hat, in der die Bevölkerungen die Hauptkosten einer Wirtschaftskrise, die sie nicht verursacht haben, tragen mussten, und einer generellen Entwicklung in den letzten Jahrzehnten, die sich durch eine Umverteilung von den Leuten mit mittleren und kleinen Einkommen zu den großen Einkommen und von den Arbeitseinkommen zu den Kapitaleinkommen kennzeichnet.

Michelle Cloos