An einer der nobelsten deutschen Adressen, im Hotel „Adlon“ am BrandenburgerTor, stellt der Ex-Bundesbankvorstand am Dienstagmorgen (22.05.12) sein 464 Seiten schweres Werk vor. Ein Buch, das von vielen, noch bevor es offiziell vorgestellt ist, schon als Pamphlet verschrieen wird.
Léon Marx lmarx@tageblatt.lu
Doch dem streitbaren Provokateur, dem nach seiner Hetzschrift „Deutschland schafft sich ab“ 2010 sogar der Rausschmiss aus der SPD drohte, bevor die Genossen sich darauf besannen, das doch lieber zu lassen, kann der Rummel nur recht sein. Sein erstes, weitgehend sachliches Buch „Der Euro: Chance oder Abenteuer“ verkaufte sich vor 15 Jahren gerade mal 30.000 Mal, die Auflage von „Deutschland schafft sich ab“ lag 2010 bei 1,3 Millionen, und mit „Europa braucht den Euro nicht“ wird Sarrazin definitiv selbst zum Multimillionär. In Euro, und inD-Mark allemal.
Mit Vorabdrucken in Magazinen, großen überregionalen Zeitungen und TV-Auftritten wie am Sonntag bei Günther Jauch in der ARD rührt er geschickt die Werbetrommel für seine Schriften.
Thilo Sarrazin, der wackere Aufklärer, der all das sagt, was das Volk hören will und was die Volksvertreter, Abgeordneten und Minister sich aber nicht trauen …? Das Kalkül ist so einfach wie wirksam, hat mit der politischen Realität aber wenig zu tun. Seine rein finanztechnische Analyse ist in vielen Teilen richtig und wurde in der erwähnten Talkrunde vom ehemaligen Finanzminister Peer Steinbrück (ebenfalls SPD) mit unterschrieben. Was bei seinen Überlegungen aber fehlt – und was diese so verführerisch, so gefährlich für die jungen Generationen macht–, ist das völlige Ignorieren des politischen Zusammenhangs, in den sich die europäische Idee und der Euro nach einem verheerenden 20. Jahrhundert mit zwei grausamen Weltkriegen einbetten.
„Es geht gar nicht mehr allein um Griechenland, sondern es geht um dieses Europa. Verantwortliche Politik wird beachten müssen, diese europäische Zivilisation voranzutreiben“, stellt Peer Steinbrück fest. Solidarität mit kriselnden EU-Ländern als ewig dauernde Wiedergutmachung, schimpft Sarrazin. Und damit fangen seine Thesen an, brandgefährlich zu werden. Kein Grieche, kein Portugiese, kein Italiener und auch kein Luxemburger verlangt von Deutschland ewige Sühne für die Gräueltaten früherer Generationen. Aber in einem Europa, das sich als Wertegemeinschaft versteht und das im globalen Kontext eigentlich auch keine Alternative zu diesem gemeinschaftlichen Modell hat, kann die Antwort auf Krisen nur in einem solidarischen Krisenmanagement und gegenseitigem Beistand bestehen.Auch wenn das am Ende alle Beteiligten viel Geld kosten kann.
Wenn Thilo Sarrazins Konzept stimmen sollte, dass jeder für seinen eigenen Haushalt geradestehen muss, dann wäre das nicht nur das Ende von Euro und EU-Europa, dann würde Deutschland implodieren, würden das Saarland und andere Bundesländer, die seit Jahrzehnten nur dank des Länderfinanzausgleichs überleben, den Bach runtergehen.
Schiefes Modell
Dass die Solidarität leider oft dort aufhört, wo es ums Geld geht, zeigt sich, wenn auch auf einer anderen Ebene, übrigens auch in Luxemburg. Man denke nur an das völlig schiefe Modell zur Umverteilung der Gewerbesteuer an die Kommunen oder die unsägliche Debatte über einen einheitlichen Wasserpreis.
Doch das nur am Rande. Und als Einstimmung auf eine Debatte, die dem Land bevorsteht, wenn Finanzminister Luc Frieden mit seinem Austeritätskurs durchkommt, um den Staatshaushalt auf Kosten der kleinen Bürger und der Kommunen zu sanieren.
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