Nicht mal 24 Monate ist es her, dass vor der Küste von Mexiko die „Deepwater Horizon“ nach einer Explosion außer Kontrolle geriet und wochenlang Tausende Barrel Rohöl ins Meer flossen. Damals hatte es BP erwischt. Der Ölmulti geriet in einen regelrechten Erklärungs- und Handlungsnotstand.
Léon Marx lmarx@tageblatt.lu
Tatsächlich hatte BP lange Zeit kein wirkliches Rettungskonzept. Aber der Konzern hatte eine Marketingidee, die wochenlang Millionen Menschen quer über den Globus vor den Bildschirmen fesselte. Unterwasservideos von der Plattform, auf denen man live und rund um die Uhr die vergeblichen Rettungsversuche beobachten konnte, waren im Mai/Juni 2010 der Renner im Internet.
Die Havarie auf der „Elgin“-Plattform vor der schottischen Küste erinnert in vielen Details an das, was vor zwei Jahren weit weg vor der mexikanischen Küste passierte. Lehren aus dem Fiasko der „Deepwater Horizon“ wurden offenbar nicht gezogen.
Wie bei der britischen BP ging es auch beim französischen Total-Konzern um Produktion und Gewinnmaximierung. Die Vorwürfe, die in der Montagausgabe von Le Monde von Mitgliedern der Bohrmannschaft und Gewerkschaftsvertretern erhoben wurden und die inzwischen teilweise vom Unternehmen bestätigt wurden, lassen keine Zweifel daran, dass Total in der Nordsee leichtfertig agierte und damit sowohl das Leben der 238 Arbeiter auf der Plattform gefährdet als auch die großflächige Zerstörung von Meeresfauna und -flora in Kauf genommen hat.
„Elgin“ ist eine von rund 500 Öl- und Gasplattformen in der Nordsee. Sie war von Anfang an ein Risiko-Bohrloch, an dem immer wieder extreme Temperatur- und Druckschwankungen festgestellt wurden. „Elgin“ hätte auch nach der Stilllegung unter verschärfter Überwachung stehen müssen. Hätte …
Unter dem Druck der Fakten hat Total inzwischen eingeräumt, dass die Probleme an dem Bohrloch bereits am 25. Februar begannen. Was genau in der Zeit bis zum 25. März passierte, als die Leitung brach, die seither täglich 200.000 Kubikmeter Gas in die Atmosphäre entweichen lässt, ist unklar. Auch wie der Gasaustritt gestoppt werden kann, weiß derzeit niemand. Nicht mal der französische Präsident Nicolas Sarkozy, der eigentlich für jeden Zwischenfall und jede Katastrophe mit geflügelten Worten Lösungen verspricht. Aber vielleicht will es sich Sarkozy auch nicht mit Total verscherzen. Schließlich hat das Unternehmen hochinteressante Pläne, um die „Grande Nation“ von Importen unabhängiger zu machen. Total arbeitet seit 2010 an vorderster Front, um an mehreren Standorten, vor allem in Südfrankreich, Schiefergas („gaz de schiste“) zu fördern.
Die Förderung von Schiefergas ist technologisch höchst komplex und die Risiken für die Umwelt, insbesondere den Wasserhaushalt, sind enorm. Die Förderung steht im krassen Widerspruch zu den 268 Zielen des „Grenelle environnement“, jenes denkwürdigen Gipfels, auf dem sich Präsident Nicolas Sarkozy kurz nach seinem Amtsantritt im Mai 2007 bemühte, der französischen Politik einen grünen Anstrich zu verpassen.
Volles Risiko bis zum letzten Tropfen
Getreu dem Motto „la France na pas de pétrole, mais elle a des idées“ ist derzeit alles erlaubt, was es ermöglicht, auch den letzten Tropfen Öl, den letzten Kubikmeter Gas aus heimischem Boden oder aus den Tiefen des Meeres zu fördern. Mit immer neuen, immer teureren und immer risikoreicheren, nicht mehr zu beherrschenden Technologien.
Pannen und Unfälle gehören dabei zum Businessplan der großen Konzerne. 350 Millionen Dollar wird die Havarie auf der „Elgin“ kosten, rund 2,1 Prozent des im Jahr 2012 erwarteten Gewinns. Peanuts demnach. Und kein Anlass für die Aktionäre, sich Sorgen zu machen …
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