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Syrisches Dilemma

Syrisches Dilemma
(AP)

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Vor einem Jahr geriet Syrien in den Sog des „Arabischen Frühlings“. Heute hält sowohl der Widerstand der Opposition als auch die Repression des Regimes an.

Der Konflikt kostete bislang angeblich 9.000 Menschen das Leben. Die Rebellenhochburgen wurden zu einem regelrechten Schlachtfeld und beim „Massaker von Homs“ wurden Frauen und Kinder brutal hingerichtet.
Zehntausende haben die Flucht ergriffen und 230.000 Menschen wurden obdachlos. Allein in der benachbarten Türkei befinden sich derzeit 14.700 syrische Flüchtlinge.

mcloos@tageblatt.lu

Ausländische Journalisten, die über die Lage im Land informieren wollen, müssen heimlich über die libanesische Grenze einreisen und riskieren dabei ihr Leben. Die Möglichkeit einer gründlichen Berichterstattung ist folglich stark eingeschränkt.
So stellt sich beispielsweise die Frage, wie viele Syrer den amtierenden Präsidenten noch unterstützen. Die Angaben der Regierung und die der Opposition sind diametral entgegengesetzt und das erste Opfer in einer Kriegssituation ist bekanntlich die Wahrheit.

Der Westen verurteilte die Niederschlagung der Proteste heftigst und versucht seit einem Jahr, Druck auf die syrische Führung auszuüben und ein Ende der Gewalt zu fordern. Man beschloss eine Reihe von Sanktionen, doch eigentlich demonstrierten die Europäische Union und die USA vor allem ihre eigene Ohnmacht.
Auch die arabischen Staaten haben Baschar al-Assad den Rücken zugekehrt. Das Golfemirat Katar (das selbst übrigens alles andere als eine Demokratie ist) plädiert allen voran für eine Militärintervention. Diese Option scheint jedoch weiterhin unrealistisch, weil sie katastrophale Folgen hätte.

Zukunft mit Fragezeichen

Muammar al-Gaddafis Armee war nicht gerade für ihre Stärke und ihre Effizienz bekannt, dennoch dauerte es mehrere Monate, bis der libysche Bürgerkrieg – bei dem die Rebellen von den Bomben der NATO unterstützt wurden – beendet werden konnte.
Nach dem Kriegsende stellte sich dann die Frage der bewaffneten Milizen, die gegen die Gaddafi-Anhänger gekämpft hatten. Diese Milizen sind bis heute nicht unter Kontrolle und auch die nationale Einheit des Landes bleibt prekär.

Der ölreiche Osten des Landes – von Sirte bis hin zur ägyptischen Grenze – strebt nach Autonomie, wenn nicht sogar Unabhängigkeit.
Die syrischen Streitkräfte sind besser aufgestellt und ein Eingreifen könnte den Groll des Iran bewirken. Auch befindet sich das Land in einer geostrategisch wichtigen Region, die eh schon als Pulverfass gilt.
Syrien ist außerdem ein Vielvölker- und ein Vielreligionenstaat. Somit herrscht die Angst vor einem möglichen „irakischen Szenario“, also einem Abrutschen ins Chaos. Wie der Konflikt letztendlich enden wird, ist nicht absehbar. Fest steht nur, dass die Situation für die Menschen in Syrien derzeit entsetzlich ist. Doch auch die Zukunft dürfte wohl kaum weniger schrecklich sein. Sollte das Regime überleben, werden noch viel mehr Menschen sterben müssen. Sollte das Assad-Regime fallen, wäre der Weg zu mehr Demokratie und Freiheit nicht garantiert.

Der dann anstehende Prozess der nationalen Versöhnung riskiert äußerst schwierig zu werden. Vergeltung und Exzesse müssten verhindert und die Sicherheit der ethnischen und religiösen Minderheiten müsste abgesichert werden.
Priorität ist natürlich ein rasches Ende des Blutvergießens, das bereits seit Monaten ein schockierendes Ausmaß angenommen hat. Doch auch über die mittelfristigen und langfristigen Lösungen für Syrien sollte schon jetzt nachgedacht werden, denn die Herausforderungen werden erheblich sein, egal welches der möglichen Szenarien künftig eintreten wird.