Headlines

Störenfriede

Störenfriede
(Alain Rischard/editpress)

Jetzt weiterlesen! !

Für 0.99 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Sommerzeit ist Migrationszeit. Millionen bleicher Europäer machen sich auf den Weg in den Süden. Sie ergötzen sich an der Sonne, den Stränden und, wenn sie eine exotischere Destination ausgewählt haben, auch an den ärmlichen Lebensbedingungen der dortigen „Ureinwohner“. Das wird man natürlich nicht als materielle Armut, sondern als „einfache, ja naturnahe“ Lebensweise interpretieren. Das gehört zum lokalen Kolorit. Auch wenn aufdringliche Straßenhändler einen dauernd belästigen, man schaut darüber hinweg, es sind schließlich Ferien. Und für den Inder oder Pakistani, der einem in Rom vor dem Kolosseum oder in Barcelona auf den Las Ramblas Krimskrams andrehen möchte, hat man bestenfalls ein süffisantes Lächeln übrig.

Logo" class="infobox_img" />Lucien Montebrusco lmontebrusco@tageblatt.lu

Die Armut draußen, nein, die stört nicht, sie ist oftmals sogar ein gesuchtes Motiv für die Fotokamera. Aber „gare la mine!“, wenn sich dieselbe Armut in unser wohlbehütetes Leben zu Hause einschleicht, sich arme Schlucker zu uns vorwagen, als Flüchtlinge in ein Boot steigen, um unter Lebensgefahr nach Europa zu gelangen, wohlwissend, dass die Wahrscheinlichkeit, im Mittelmeer zu ersaufen, groß ist. Schlimmer noch ist es, wenn arme Schweine plötzlich als Bettler in den Einkaufsmeilen des Landes landen, in der hauptstädtischen Grand-rue oder in der Escher Alzette-Straße.

Dann plötzlich werden die armen Seelen pauschal zu Abschaum, zur „Racaille“, wie eine bekannte Persönlichkeit dieser Tage die angeblich bandenmäßig vorgehenden Bettler bezeichnete. Der Anblick von Männern und Frauen, die auf einem Stück Karton sitzen, den Passanten ein „Bonjour Monsieur, bonjour Madame“ zurufen, stört dann die empfindliche Seele all jener, die gemütlich an den Schaufenstern entlangspazieren und dabei nur von gut gekleideten Bekannten belästigt werden wollen. Dass die Bettler bandenmäßig organisiert auftreten, mag stören und muss unterbunden werden, Straßenbettler aber deswegen kollektiv gleich aus der Stadt zu jagen? Wer auf Bettler in der Straße einprügelt, mögen sie auch ferngesteuert sein, trifft lediglich die Übermittler der schlechten Botschaft, die da heißt Armut.

Das ist definitiv einfacher, als deren Ursachen – wie wirtschaftliche Stagnation, ungerechte Verteilung des Reichtums, Chancenlosigkeit für die Jugend, Perspektivlosigkeit junger Menschen im erwerbsfähigen Alter – nachhaltig anzugehen. Alles Gründe, die Menschen zur Emigration verleiten. Dass sich auch Kriminelle unter sie mischen, die sich den großen Reibach im wohlhabenderen Westen erhoffen, gehört dazu. Diese müssen verfolgt und bestraft werden. Doch die meisten verlassen ihre Stadt oder ihr Dorf, weil die Not sie dazu zwingt.

Man kann die Augen davor verschließen, die Grenzen dichtmachen, den Schengen-Raum undurchlässiger gestalten: Armutsflüchtlinge wird das nicht davon abhalten, sich auf den Weg zu machen. Die Bilder aus dem Mittelmeer führen uns das täglich vor Augen.

Wenn wir jedoch damit beginnen, pauschal ganze Personengruppen aus dem Stadtbild zu verbannen, die uns nicht passen, weil sie unseren Sinn für Ästhetik stören, könnte das damit enden, dass bald niemand mehr an Schaufenstern vorbeigehen wird. Dem Bettler könnten dann schnell schlecht gekleidete Mitbürger, aber auch übergewichtige Zeitgenossen folgen, weil sie Gesundheitsfanatikern gegen den Strich gehen.

Lesen Sie auch:

«Bin nicht xenophob»

Polfer: Der Stadt sind die Hände gebunden