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Spiel und Machtspiel

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Würde es unsere Gambia-Regierung ernst meinen mit der Trennung von Kirche und Staat, dürfte eigentlich in Schulen kein Fußball mehr gespielt werden. Die Aufregung um die schönste Nebensache der Welt lässt sich nur mit einem religiösen Wahn vergleichen.

In vielen Ländern geben Fans zu, Fußball sei ihre Religion. Einige Parallelen zu Glaubensgemeinschaften, ausgewachsenen Kirchen und kleinen Psychosekten gibt es allemal. Wenigstens einen Tag in der Woche huldigt man seinem Gott.
Aber Spaß beiseite, es gibt andere Parallelen zur Wirtschaftswelt, die weitaus beängstigender sind: die Macht einer Organisation über die Politik, was ja eigentlich nicht der Fall sein soll.

Claude Molinaro cmolinaro@tageblatt.lu

Die Kirche des runden Leders heißt FIFA. Sie lässt sich auf der ganzen Welt für sehr viel Geld Kathedralen bauen, die in einigen Fällen nachher nur noch als Touristenattraktion dienen. Im brasilianischen Amazonasgebiet wurde ein Stadion für über 220 Millionen Euro (die exakte Summe spielt eigentlich in dieser Größenordnung keine Rolle) gebaut. Und das nur für vier WM-Spiele. In der Gegend gibt es keine Mannschaft, die das Stadion bei einem ihrer Spiele auch nur annähernd füllen könnte. Nun, die Pyramiden wurden ja auch nicht gebaut, um noch von vielen Ägyptern genutzt zu werden. Nur ein Beispiel, wie Brasilien Geld für den Fußballgott opfern musste.

Die FIFA hat eigenen Angaben zufolge 2013 einen Reingewinn von 72 Millionen US-Dollar verbucht, im Jahr zuvor 89 Millionen. Auf dem Gewinn bezahlt der „Verein“, der in der Schweiz beheimatet ist, nur vier Prozent Steuern. Kapitalgesellschaften werden in der Alpenrepublik mit 8,5 Prozent besteuert. Offiziell heißt es, die FIFA sei ein gemeinnütziger Verein und dürfe sich laut Statuten keiner wirtschaftlichen Aufgabe widmen. Bei dem Gewinn kann von wirtschaftlicher Aufgabe natürlich keine Rede sein.

Dass die FIFA zu einer Macht geworden ist, die den Regierungen der größten Länder ihren Willen aufzwingen kann, verbildlicht das sogenannte „Budweiser-Gesetz“ in Brasilien. 2003 verhängte das südamerikanische Land in den Stadien ein Alkoholverbot. Der Grund dafür war, dass es zu viele Tote bei Fußballspielen gegeben hatte, die auf den Alkoholkonsum zurückzuführen waren. Im Mai 2012 wurde ein Gesetz vom brasilianischen Senat gutgeheißen, das den Verkauf von Bier bei der WM genehmigte. Auf Druck der FIFA.

Nicht verhandelbar

Im Januar 2012 sagte FIFA-Generalsekretär Jérôme Valcke vor laufender Kamera, alkoholische Getränke seien Teil der FIFA-Weltmeisterschaft, also werde man sie auch haben. „Excuse me if I sound a bit arrogant, but that’s something we won’t negotiate.“ (Entschuldigen Sie, wenn ich ein bisschen arrogant klinge, aber das ist nicht verhandelbar.“)

Lange Rede, kurzer Sinn: Der kleine Satzteil „das ist nicht verhandelbar“ spiegelt perfekt die Attitüde der Wirtschaft wider. Seit Jahrzehnten wuchs ihre Macht gegenüber der Politik, wobei Letztere ironischerweise die legalen Voraussetzungen schuf. Bei der Bankenkrise 2008 hieß es von vielen Seiten, das Primat der Politik gegenüber der Wirtschaft müsse wiederhergestellt werden. Taten folgten den Worten wenige. Aber was soll’s? Fußball lieben wir trotzdem noch.