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Sozialistischer Kick

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Die Fußball-Europameisterschaft in Polen und der Ukraine biegt mit den Halbfinals in die Zielgerade ein. Dabei wird die Euro 2012 als das Turnier in die Annalen eingehen, in dem der Wandel des Spiels in den letzten Jahrzehnten am deutlichsten zu beobachten war.

Was nicht zuletzt daran liegt, dass eine Europameisterschaft ob der Stärke des europäischen Fußballs in der Regel ein höheres Niveau erreicht als eine Weltmeisterschaft.

Philip Michel pmichel@tageblatt.lu

Das Spiel der allermeisten Nationalmannschaften bei dieser EM war durchgeplant bis ins kleinste Detail. Das System dominiert im modernen Fußball, dem Zufall soll so wenig Raum wie möglich gelassen werden.

Und der klassische Spielmacher ist vom Aussterben bedroht. Vor zwei Jahrzehnten ereilte den Libero bereits dieses Schicksal. Die beiden einzigen Positionen, die den Spielern eine gewisse Freiheit auf dem Feld boten, gibt es demnach bald nicht mehr. Eine Feststellung, die der Spiegel unlängst wie folgt kommentierte: „Was Kollektivierung und Planwirtschaft angeht, hat der Fußball das Erbe des Sozialismus angetreten.“ Will heißen: Jeder hat sich an seine Vorgaben zu halten, nur das Team zählt. Der Fußball im 21. Jahrhundert ist kein Bauchspiel mehr, sondern ein Kopfspiel.

Aber es bleibt noch immer ein Spiel mit Überraschungen und überragenden Einzelkönnern, die dann doch den Unterschied im Einheitsbrei machen können und für die magischen Momente sorgen, die die Faszination des Fußballs ausmachen. Was jenseits des Rasens geschieht, hat dagegen herzlich wenig mit Sozialismus zu tun.

Milliardenspiel

1,2 Milliarden Euro nimmt der Europäische Fußballverband UEFA durch die Europameisterschaft ein. Der Großteil kommt von den zehn Premium-Sponsoren und von den TV-Anstalten. Adidas zum Beispiel hofft dank der Aufmerksamkeit durch die EM, seinen Umsatz in der Fußball-Sparte 2012 auf 1,5 Milliarden Euro zu steigern.

Da braucht man sich dann auch nicht zu wundern, wenn der Einfluss der Geldgeber immer größer wird. Das Fernsehen bestimmt die Anstoßzeiten und rund um die Stadien sind Werbe-Bannmeilen angelegt. Den UEFA-Partnern wird für viel Geld Exklusivität geboten. Und Werbemöglichkeiten, von denen Marketing-Experten träumen. Nur mit Fußball können Traum-Einschaltquoten erreicht werden, sieht man einmal von königlichen Hochzeiten (und anderen Katastrophen) ab. Misstöne rund um das Turnier sind da nicht erwünscht. Alles, was das Fest stören könnte, wird bei der um einige Sekunden verzögerten Live-Übertragung ausgeblendet.

Dänemarks Stürmer Nicklas Bendtner musste 100.000 Euro Strafe bezahlen, da er bei einem Torjubel sein Trikot hochzog und das Logo eines Wettanbieters sichtbar wurde. Darüber aufregen braucht sich Bendtner nicht, schließlich sind es die Spieler, die vom Marketing-Wahnsinn rund um den Fußball profitieren. Als vor 50 Jahren in Deutschland mit der Gründung der Bundesliga der Profifußball eingeführt wurde, gab es für die Kicker ein festgelegtes Maximaleinkommen von 1.200 DM im Monat. Bendtner, obwohl mäßig erfolgreich, streicht rund drei Millionen Euro im Jahr ein. Damit rangiert er im Ranking der EM-Topverdiener freilich unter ferner liefen. Portugals Cristiano Ronaldo kassiert pro Jahr 29,2 Millionen Euro. In Zeiten von Euro-Rettungsschirm und Sparpaketen eine wahrlich obszöne Summe.

Das Spiel hat sich verändert, und zwar nicht nur auf dem grünen Rasen. Dort mag der Sozialismus wiederbelebt worden sein, ansonsten ist aus der schönsten Nebensache der Welt eine riesige Gelddruckmaschine geworden.