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Schuss nach hinten

Schuss nach hinten

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In den Medien zirkuliert seit einigen Tagen ein Foto von Barack Obama, das ihn mit Schutzbrille, Ohrenschützern und einem Gewehr zeigt, aus dem er offensichtlich kurz vor der Aufnahme einen Schuss gefeuert hat. Denn es sind Rauchschwaden zu sehen.

In einem Interview hatte Obama sich als leidenschaftlicher Hobbyschütze geoutet, das Weiße Haus schickte das Foto als Beweisstück nach. Jener US-Präsident, der auch nach Rückschlägen weiterhin als Friedensstifter in die Geschichte eingehen möchte, geht an seinem Geburtstag gerne schießen. (Das Foto wurde am 4. August 2012 aufgenommen, Obamas 51. Geburtstag)

Janina Strötgen jstroetgen@tageblatt.lu

In seinem sicherlich ehrlichen Kampf um schärfere Waffengesetze hat Obama mit dieser Aktion übers Ziel hinausgeschossen. Im figurativen Sinne. Seine Absicht, mit diesem neuen, möglicherweise angedichteten Hobby bei den US-Amerikanern den Eindruck zerstreuen zu wollen, er habe grundsätzlich etwas gegen Waffen, hat Obama verfehlt. Sich als maßvollen Waffenfreund zu inszenieren, entzürnt seine Befürworter und liefert der Waffenlobby gefundenes Fressen, ihn lächerlich zu machen und – wirkungsvoller – seine Aktion als Heuchelei zu interpretieren. Zumal der Vorwurf der Heuchelei auch nicht ganz von der Hand zu weisen ist.

Sicherlich, Obamas Tontaubenschießen und sein in dem Interview beteuerter „tiefer Respekt“ gegenüber der „Tradition der Jäger“ platziert ihn in der Haltungsskala weiterhin näher am Pazifisten als am Waffenfanatiker, doch warum muss er überhaupt Freude am Schießen vermitteln? In seinem Bestreben, den Verkauf von Sturmgewehren zu verbieten, hilft ihm dieses Bekenntnis sicher nicht weiter. Wenn man die Sklaverei abschaffen will, lässt man sich schließlich auch nicht von vorne bis hinten bedienen.

Ikonografische Zeiten

Die Strategie des Weißen Hauses verdeutlicht aber neben einem trotz oder gerade wegen der Waffe in der Hand hilflos wirkenden Präsidenten auch eine allgemeine Tendenz in der politischen Kommunikation. Die grauenhaften Aufnahmen von dem Massaker aus Newton, bei dem ein 20-Jähriger Mitte Dezember 20 Grundschüler und sechs Lehrer tötete, bevor er sich selbst erschoss, haben sich vor das innere Auge nicht nur der US-Gesellschaft gebrannt. Diese Bilder sind stärker als Reden.

Deshalb flieht Obama bei seinem Kampf für stärkere Waffengesetze von der politischen Diskursivität hinein in die Bildersprache. Denn kann eine Aussage durch emotionale Bilder unterfüttert werden, so zählt dies mehr als alle Diskurse und Erkenntnisse. Das weiß auch Obama.

Während Bilder früher als Begleitphänomene der Wirklichkeit, als Abbilder von etwas, das vor allem mit Sprache erfasst werden konnte, galten, so haben sich die kognitiven Gewichte für unsere Wahrnehmung zugunsten des vermeintlich authentischen Bildes verschoben. Wir leben in ikonografischen Zeiten. Bilder bestimmen unser Empfinden und Handeln, Bilder formen unser Denken.

Ihre Bedeutung für die politische Kommunikation liegt darin, dass sie eine immense Verführungs- und Suggestivkraft besitzen. Doch darin liegt gleichzeitig auch ihre Gefahr. Denn die Suggestivkraft von Bildern ist unkontrollierbar. Ein Bild des Präsidenten am Gewehr überbringt nicht die eine klare Botschaft, sondern ist offen für Interpretationen, Instrumentalisierungen und Manipulationen. Ein Präsident, der sich für schärfere Waffengesetze einsetzt und sich gleichzeitig als leidenschaftlichen Hobbyschützen inszeniert, handelt vieldeutig und suggeriert auch Angst vor klaren Positionen.

„Mr. President, warum tun Sie das?“ fragte prompt Jon Stewart in seiner populären „Daily Show“ am Samstagabend. Er sieht den Versuch des Präsidenten, durch dieses Outing ein paar Pluspunkte bei seinen Gegnern zu sammeln, zum Scheitern verurteilt. Und er hat, wie so oft in seinen Analysen, auch dieses Mal wieder recht.

Es ist fraglich, ob der Kampf gegen die Waffenlobby überhaupt zu gewinnen ist, doch durch Anbiederung bei den Gegnern sicher nicht. Der Schuss ging nach hinten los.