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Schade

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Nun ist es ja wirklich nicht egal, was bei der Italienwahl rauskommt. Zu viel steht auf dem Spiel, für Europa, die Eurozone und vor allen Dingen die Italiener selbst.

Sie haben die gleichen Probleme durch einseitig zulasten des normalen Bürgers aufgelegte, sogenannte „Spar“-Programme wie die anderen südeuropäischen Länder auch. Ihre Kaufkraft ist gegen null gesunken, die Renten wurden gekürzt, neue Steuern drücken, immer mehr Betriebe machen dicht, weil die geretteten Banken ihnen keine Kredite gewähren, mit als Konsequenz einer stets steigenden Arbeitslosigkeit besonders unter den jungen Menschen. Ob nun Bersani, Monti, Berlusconi oder Grillo, die Italiener werden es entscheiden. Es sind ihre Wahlen. Jeder kann dazu seine eigene Meinung haben und sie sicher auch äußern.

Serge Kennerknecht skennerknecht@tageblatt.lu

Aufhorchen lässt jedoch, wenn plötzlich Leute Wahlempfehlungen für ein Land aussprechen, die eigentlich mit den Wahlen nicht unbedingt direkt zu tun haben, weil sie nicht an ihnen beteiligt sind. Wenn es sich dabei auch noch um den Präsidenten des Europaparlaments handelt, ist das ein Politikum.

Martin Schulz, aktueller Präsident des EU-Parlaments, hat die Italiener aufgefordert, Berlusconi nicht zu wählen. Der Mann sei nicht tragbar und habe Italien bereits viel geschadet. Nun muss man mit Silvio Berlusconi nicht einverstanden sein, aber die Italiener scheinen bestimmte Dinge doch anders zu sehen als Herr Schulz. Immerhin hat Berlusconi das Amt des Premierministers im Nachkriegs-Italien am längsten innegehabt. 3.340 Tage war er Regierungschef. Um das zu werden, hat er sich Wahlen gestellt und ist gewählt worden, mit seinem Medienimperium im Rücken, gewiss, mit einem auf seine politischen Bündnisse zugeschnittenen Wahlgesetz sicher.

Bis dahin war es ein langer Weg

Aber: Ohne Berlusconi auch nur im Ansatz verteidigen zu wollen, darf man sich doch die Frage stellen, wie Herr Schulz das denn jetzt weiter handhaben will. Man stelle sich vor, er würde auch für Deutschland, wo Wahlen anstehen, eine solche negative Empfehlung ausgeben, etwa gegen Bundeskanzlerin Merkel. Oder gegen einen französischen oder englischen Politiker. Mit Sicherheit würde er einen Sturm der Entrüstung heraufbeschwören, der seinen Präsidentenstuhl mehr als gewaltig ins Wackeln bringen würde. Die Wahlempfehlung von Herrn Schulz, die unter dem Deckmäntelchen politischer Überlegungen dennoch eher von privaten Animositäten zwischen ihm und Berlusconi herrührt, beleidigt die Italiener, die sich ihr Urteil sicher selbst bilden können und nicht auf gute Ratschläge von außen angewiesen sind. Sie ist ein Fehler und schadet dem Ansehen des Europaparlaments.

Und das ausgerechnet jetzt, da eben dieses Ansehen endlich an Konturen gewinnt, wie die jüngsten Umfragen zeigen. Bis dahin war es ein langer Weg. Vom anfänglich eher belächelten Kuriosum, das nur wenige eigentlich so recht ernst nahmen, bei den politischen Debatten Ende der 60er-, Beginn der 70er-Jahre über das Negativbild eines parlamentarischen Abstellgleises für ausgediente Nationalpolitiker bis hin zu einer Institution, die sich immer mehr gleichberechtigt neben Kommission und Rat positioniert, mit realen Befugnissen, die engagiert wahrgenommen werden. Was sich bei den laufenden Diskussionen über den EU-Haushalt 2014-2020, den die EU-Parlamentarier ablehnen, bereits deutlich bemerkbar gemacht hat.

Dennoch, es bleibt noch einiges zu tun. So leidet das Ansehen des Parlaments, nicht nur hierzulande, immer noch darunter, dass die Wahlen für das Europäische Parlament zumeist gleichzeitig mit nationalen Wahlen abgehalten werden, die wichtige Bedeutung der Institution von vielen dementsprechend nur als zweitrangig wahrgenommen wird. Zudem sind die immer wieder aufkommenden Berichte über zu viel Abwesenheit mancher Parlamentarier oder die besonders von den Briten ständig neu aufgeworfene Sitzfrage Dinge, die endlich definitiv und transparent einer Klärung zugeführt werden sollten. Selbst wenn nicht alles alleine in der Hand des EU-Parlaments liegt.

Vor allen Dingen jedoch bedarf es, in schwierigen Zeiten, in denen das Bild des Politikers doch gelitten hat, eines besonders behutsamen politischen Fingerspitzengefühls, mit dem man auf die Bürger zu-, auf ihre Ängste und Hoffnungen eingeht und sie vor allen Dingen als mündig ernst nimmt.

Die Italien-Wahlempfehlung des Präsidenten des Europäischen Parlaments lässt dieses feine Gespür leider vermissen. Schade.