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Salonfähig und autoritär

Salonfähig und autoritär

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Er putschte, doch niemand wollte so recht von einem Coup sprechen. Er hat Stimmen des Protests, aber auch den umstrittenen Muslimbrüdern den Wind aus den Segeln genommen. Seine Beliebtheitswerte sind hoch – sein regionaler Einfluss wächst.

Allerdings zeigen die jüngsten Entwicklungen in Kairo, dass auch er die Situation in Ägypten immer noch nicht vollständig im Griff hat: Die Rede ist von Präsident Abd al-Fattah al-Sisi.

Dhiraj Sabharwal dsabharwal@tageblatt.lu

Während er national mit wirtschaftlichen und demokratischen Problemen ringt, verschafft sich der ehemalige Militärchef auf dem diplomatischen Parkett Respekt und Anerkennung. Aktuellstes Beispiel: die Geberkonferenz in Kairo. Nachdem sich der Westen mehr als schwergetan hatte, den Militärputsch gegen den gestürzten Präsidenten Mohammed Mursi eindeutig als Coup zu bezeichnen, scheint al-Sisi nicht mehr als fragwürdiger Autokrat wahrgenommen zu werden. Im Gegenteil. Man braucht Ägypten mehr denn je in seiner historischen Rolle als strategischen Partner im Nahen und Mittleren Osten. Daran ändern die Festnahmen von Journalisten und die Unterdrückung von Studentenprotesten nichts.

Nein, selbst das Säbelrasseln der USA, man wolle die militärische Unterstützung Ägyptens überdenken, ist mittlerweile Schnee von gestern. Insgeheim freute man sich darüber, die Bärtigen in Kairo los zu sein und sich in Washington wieder auf die alten diplomatischen Gepflogenheiten zu verlassen: außenpolitischen Opportunismus. Man war für Mubarak, für die Muslimbrüder, dann gegen sie, bei al-Sisi wusste man nicht so recht … nun wehrt man sich nicht mehr gegen sein fragwürdiges Demokratieverständnis.

Kairos militärische Vormacht

Kairos Schlüsselrolle als militärische Vormacht und als historischer Vermittler zwischen Israel und den Palästinensern ist zu wichtig. Auch die Kontrolle über den Suezkanal, die angespannte Situation im Nachbarland Libyen und das Erstarken der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) erfordern die Präsenz eines (militärisch) stabilen Partners in der Region. Und genau das ist Ägypten unter al-Sisi wieder geworden – zumindest arbeitet er daran. Während er sich in der Anti-IS-Koalition vergleichsweise geschickt zurückhält, hat er bei der Aushandlung der Waffenruhe in Gaza ähnliches Fingerspitzengefühl bewiesen. Weder der Türkei noch Katar gelang, was al-Sisi am Ende aushandelte. Dass Kairo jedoch an der Blockade Gazas mitbeteiligt ist und somit zur Verschärfung der unmenschlichen Situation im palästinensischen Freiluftgefängnis beiträgt, wird nur allzu gerne verschwiegen. Dennoch: Angesichts der turbulenten Zeiten und des abermals erneuten Kampfes gegen den Terrorismus freut man sich über den salonfähig gewordenen al-Sisi.

Hinzu kommt Kairos Rolle im regionalen Kräftemessen: Der Iran ist in zahlreichen Stellvertreterkonflikten dabei, Saudi-Arabien diplomatisch und militärisch in die Ecke zu drängen, ohne dabei auf ein respekteinflößendes Gegengewicht zu stoßen. Ägypten könnte genau diese Rolle übernehmen und den Machtgelüsten Teherans einen Dämpfer versetzen.

Die Beziehungen zwischen beiden Ländern sind deutlich unterkühlt. Demnach könnte sich der politische Dialog schwer gestalten, eine direkte Konfrontation ist für beide Gesprächspartner aber ebenfalls keine Option – weder aus historischer Perspektive noch aufgrund der aktuellen Interessenlage. Demnach wird al-Sisi die gleiche Rolle wie seine zahlreichen Vorgänger spielen und sich auf die genau gleichen Spielregeln berufen: Militärische Kooperation und Stabilisierung der Region gegen stille Duldung eines autoritären Herrschaftsstils.