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Rolle rückwärts

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Der Eindruck mag täuschen, aber irgendwie kommt einem hie und da der Gedanke, dass es Leute gibt, die sie am liebsten erfinden würden, wenn es sie denn nicht schon gäbe: die Schuldenkrise. Schulden und Krise, was kann man in diesen Doppelbegriff nicht alles reinpacken.

Und eigentlich verbergen, dass viele der Probleme, die nun unter Verweis auf die „geliebte“ Schuldenkrise einer Lösung zugeführt werden sollen, bereits vorher existiert haben. Zudem kann man unter Verweis auf die Krise sozusagen im Hauruckverfahren Sozialabbau betreiben.Das Zurückfallen der europäischen Wirtschaftsleistung gegenüber anderen aufstrebenden Erdregionen z.B. hat nicht erst mit der Schuldenkrise begonnen, oder mit der Finanz- und Bankenkrise. Auch so ein schönes Wort in den Ohren derer, die endlich die Zeit gekommen sehen, all jene Entwicklungen zurechtzubiegen, die sie in den letzten Jahren so gestört haben. Gute Arbeitsgesetze, vernünftige Sozialleistungen, anständige Löhne etwa. Alles, was einen auf maximalen Gewinn orientierten Markt beeinträchtigen kann.

Logo" class="infobox_img" />Serge Kennerknecht skennerknecht@tageblatt.lu

Und so wird denn demontiert, in Griechenland, in Italien, in Spanien, in anderen Ländern. Die Arbeitswelt wird neu gestaltet, die Renten werden gesenkt, die Sozialleistungen eingeschränkt. Dass einem dabei Dinge völlig entgleiten und z.B., wie in Spanien, die Kündigungsregeln in einem Abwasch gleich mit geändert werden – Wettbewerbsfähigkeit geht vor –, kann schon passieren. Obwohl sicher kein einziges nicht-spanisches Unternehmen sich aus diesem Grunde dort niederlassen wird. Aber wenn schon Krise, denn schon Krise. Dabei hätte man im Falle Spaniens auf andere Lösungen hoffen können, wo das Land doch wenigstens noch von (konservativen) Politikern gelenkt wird. Die nach den Wahlen übrigens ganz anders handeln, als sie es vor den Wahlen versprochen hatten. In Italien und Griechenland hat die Politik das Spielfeld vorübergehend verlassen und sind mit Monti und Papademos eh bereits Goldman-Sachs-Männer am Werk. Ein Schelm, wer Schlechtes dabei denkt.

Konservatives Duckmäusertum

Umso mehr als viele Politiker das Spiel blind mitmachen. Ihnen geht es dabei eher um die gesellschaftspolitische Ausrichtung in ihren Ländern. Doch sogar diese lässt sich mit dem Verweis auf die ganz, ganz schlimme Schuldenkrise nach Gusto in die gewünschte Richtung rücken. Ein bisschen Subventionen hier abschaffen, dort einführen, etwas Freiheit dort wegnehmen und anderswo gar nicht erst aufkommen lassen, dann wieder etwas Krisenangst schüren und auf nationale Eigenständigkeit pochen, die natürlich von außen bedroht wird und angeblich nur gerettet werden kann von Politikern (warum nur könnte einem dabei unweigerlich Sarkozy einfallen?), die erstens die Krise international und zweitens den Rest national meistern. Und die sind zurzeit in Europa zumeist bieder national-konservativ. Vielleicht rührt es daher, dass viel über Abbau, viel über Sparen, viel über Eigenbeiträge zu hören ist, aber eher wenig über Perspektiven, über Wachstumsstrategien oder über neue gesellschaftliche Modelle gegen die soziale Ausgrenzung, die durch Rekordarbeitslosigkeit, besonders bei Jugendlichen, noch verstärkt wird.

Und weil sie so sehr mit ihrer „Rolle rückwärts“ beschäftigt sind und die Schuldenkrise zuallererst für eine gesellschaftliche und soziale Kurskorrektur in ihrem Sinne nutzen, überlassen die Konservativen die letztgenannten Felder anderen. Extremisten nehmen dankend an. Denn gerade das Nicht-Besetzen der für die soziale Kohäsion wichtigen Felder durch die Politik bietet diesen beliebigen Spielraum.

Es ist sicher auch kein Zufall, dass konservative europäische Spitzenpolitiker, Merkel und Cameron inklusive, vor einigen Wochen vehement abstreiten mussten, sie hätten sich bereits im Vorfeld gegen einen möglichen Präsidenten Hollande verschworen. Denkbar wär’s. Denn Hollande will endlich jene Bereiche angehen, die von der Rechten in Europa bislang brachliegen gelassen wurden. Allen voran die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit.

Hierzu bedarf es einer couragierteren europäischen Politik, die Schluss macht mit dem konservativen Duckmäusertum vor Kapital und Wirtschaft.