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Pro und Kontra: Meinungsumfragen

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Meinungsumfragen sind nicht mehr aus den Medien wegzudenken. Ob Erhebungen über das mögliche Verhalten der Wähler, falls am Sonntag gewählt würde, die Freizeitgestaltung der Bürger, ihre Urlaubsziele usw. – die Ergebnisse dieser Umfragen finden schnell den Weg in Zeitungen, Online-Newsseiten, Radio und TV. Doch entspricht die Bedeutung vor allem politischer Umfragen dem Raum, der ihnen in den Medien geboten wird? Ein Pro und Kontra zu diesem Thema.

Pro: Bloß ein gutes Instrument

Robert Schneider, Chef der Politik-Redaktion rschneider@tageblatt.lu

Die Meinung des Volkes wollen sie laut altgriechischem Ursprung des Wortes erforschen, die Demoskopen (démos: Volk und skopeín: spähen), die Meinungsforscher, die vor nicht allzu langer Zeit eine recht bedeutende Position im politischen Spiel innehatten und sie wohl – wenn auch mit Einschränkungen – immer noch haben.

Trotz mancher Ungenauigkeiten und Irrtümer in Voraussagen – schnell denkt man an die US-Wahl, die Trump trotz gegenteiliger Voraussagen gewann, oder an den Brexit, für den sich die Briten entgegen den Prognosen der Demoskopen entschieden – ist das Wesen dieser Forschungsmethode intakt.

Dass trotz Algorithmen, die dieses Phänomen berücksichtigen sollten und müssten, nicht immer das reale Verhalten vorausgesagt werden kann (augenscheinlich politisch wenig korrektes Stimmverhalten, etwa für rechtsextreme Politiker oder für Populisten à la Trump, wird nicht gerne von den Befragten zugegeben und so die Genauigkeit oder schlimmstenfalls die Richtigkeit der demoskopischen Analyse verfälscht), ist ein Phänomen, das bekannt ist, sich wohl aber noch nicht mit allerletztem Feinschliff und Genauigkeit in der entsprechenden Analysearbeit widerspiegelt.

Doch auch dies wird in die wissenschaftliche Arbeit – und als eine solche muss die Meinungsforschung gelten – einfließen. Die Wahlvorhersagen bleiben also ein wichtiges politisches Instrument: Bei den Parlamentswahlen 2013 in Luxemburg etwa lag das Tageblatt mit den TNS-Ilres-Prognosen ziemlich nah an der Wahrheit.

Dies bedeutet beileibe nicht, dass die aktuell schwachen Werte der rot-blau-grünen Koalition jetzt schon das Ende derselben bedeuten.

Es bleibt den Regierungsparteien noch Zeit, die Wähler zu überzeugen, und die Tatsache, dass in Luxemburg gern «panaschiert» wird und die persönlichen Stimmen in den aktuellen Umfragen kaum berücksichtigt werden, kann angesichts der vielen beliebten aktuellen Mehrheitspolitiker und der weniger populären Vertreter der größten Oppositionspartei, der CSV, den ihr bereits vorhergesagten Wahlerfolg durchaus noch vermiesen.

Ohne Wahlprognosen würden die Politiker aller Couleur allerdings völlig schwimmen, müssten sich auf äußerst ungenaue Parameter wie Stammtischgespräche oder die modernere Art, die Facebook-Kommentare, verlassen und könnten sich so kaum orientieren.

Und dies ist wohl der Hauptnutzen der Demoskopie: Es ist ein Instrument zur Orientierung, nur muss es dann noch richtig angewendet werden. Ob die Parteien dabei immer verstehen, wie sie die wegweisenden demoskopischen Aussagen interpretieren sollen, ist dabei mehr als fraglich.

Die Wirtschaft und insbesondere der Handel hingegen nutzen die Meinungsforschung schon lange und auf eine äußerst wertschöpfende Weise für ihr Metier. Produzenten und Geschäftsleute verdanken der Meinungsforschung das Wissen um die jeweiligen Kauf- und Konsumgelüste, setzen das Instrument auch gerne bei der Preisgestaltung ein, was allein schon als Beweis für die Effizienz des Instruments gelten dürfte.

Kontra: Meinungsmacher

Lucien Montebrusco, Redakteur lmontebrusco@tageblatt.lu

Das Gute an Meinungsumfragen ist: Man kann herrlich viel in sie hineininterpretieren. Was manche wohl auch als Versuch einer Manipulation deuten könnten. Das Problem: Auch bei größter Vorsicht und wiederholtem Hinweis darauf, dass die Ergebnisse lediglich ein Stimmungsbild zu einem gegebenen Zeitpunkt darstellen und, bei politischen Umfragen, Luxemburgs Wahlsystem wegen des Panaschierens genaue Voraussagen erschwert: Was hängenbleibt, sind in der Regel der Titel (meistens bewertend) und die Anfangssätze des Begleittextes zu den bunten Grafiken.

Meinungsumfragen tragen sicherlich dazu bei, das Interesse der Öffentlichkeit am politischen Geschehen wachzuhalten. Andererseits liefern sie den politischen Akteuren Hinweise auf die Stimmungslage beim Wahlvolk. Problematisch wird es, wenn sich Letztere von den sondierten Stimmungen beeinflussen lassen.

Politiker sollen sich von ihren Überzeugungen (falls vorhanden), eine Regierung von ihrem Koalitionsprogramm leiten lassen. Damit rennen wir angeblich offene Türen ein. Auch Premier Xavier Bettel sagte dieser Zeitung in einem rezenten Gespräch, er lasse sich in seinem politischen Handeln nicht von Umfragen, sondern vom Regierungsprogramm leiten.
Dennoch sind Meinungsumfragen mit Vorsicht zu genießen und die Frage, ob die Veröffentlichung ihrer Ergebnisse und deren mediale Aufbereitung mehr Positives als Negatives bewirken, ist berechtigt.

Politische Umfragen haben durchaus das Zeug, den Wählerwillen mitzubestimmen. Sie können negative Gefühle verstärken, statt den Blick auf die konkrete politische Arbeit einer Regierung zu schärfen. Sie können Menschen dazu bewegen, es anderen gleichzutun: Wenn schon so viele gegen die Partei X sind, dann muss schon was dran sein. Warum sich für kleinere Parteien aussprechen, wenn sich in vorherigen Umfragen die meisten für die großen aussprechen? Sich in der Außenseiterrolle wiederfinden wollen nur die wenigsten.
Dass die Antworten von der Fragestellung beeinflusst werden, ist eine Binsenweisheit; dass nicht unbedingt die Person antwortet, die man eigentlich befragen will, etwa bei Online-Interviews, eine andere.

Die Zuverlässigkeit der Antworten leidet wohl schließlich auch darunter, dass die Bürger seit einigen Jahren mit Umfrage-Anfragen nicht nur politischer Art überhäuft werden. Die Folge: Geantwortet wird schnell und unüberlegt. Wer denkt beispielsweise sofort daran, dass ihm diese Regierung «Steuergeschenke» gemacht haben soll, die Kinder in Zukunft die Schulbücher gratis bekommen werden, der Elternurlaub reorganisiert wurde, damit er sich besser den Ansprüchen der erziehenden Eltern anpassen kann? Kommt da dem Interviewten nicht eher das Bild des unsympathisch rüberkommenden Politikers in den Sinn?

Trotz aller Kritik: Umfragen mögen für einzelne Akteure ein nützliches Instrument sein, um die Stimmung der Bevölkerung zu einem gegebenen Zeitpunkt einzuschätzen. Nichts darf auch Parteien daran hindern, ihre Erhebungen zu starten. Ihr Produkt der aktuellen Mehrheitsmeinung anzupassen, wäre jedoch ein weiterer Kratzer am schon lädierten Image von Politik und Parteien. Vor allem aber ist Politik nicht irgendein Jogurt, dessen Geschmack man den Launen des Konsumenten anpassen soll. Eine Partei ist kein X-beliebiges Unternehmen.