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Prävention anders

Prävention anders
(Tageblatt/Alain Rischard)

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Am Rande des imposanten Gedenkmarsches kamen am Sonntag in Paris ebenfalls die Innenminister einer Reihe europäischer Staaten und aus den USA sowie Experten zusammen, um über das weitere Vorgehen im Kampf gegen den Terrorismus zu beraten.

Es stimmt vielleicht, dass hier und da noch manches getan werden könnte, die Zusammenarbeit zwischen europäischen, aber auch mit außereuropäischen Behörden verbessert und die Befugnisse von Sicherheitskräften überdacht werden könnten. Noch einmal wurde gefordert, ein EU-Gesetz über die Weitergabe von persönlichen Daten von Flugpassagieren (PNR-Daten) so schnell wie möglich voranzutreiben. Ein Instrument, das möglicherweise die Mörderbande der vergangenen Woche samt Komplizen hätte auffliegen lassen können. Zumindest wird sich das von der Analyse von PNR-Daten erhofft.

Chancen bieten

Doch leider wird bei solchen Ministertreffen und unter dem Eindruck des Geschehenen immer wieder auch übers Ziel hinausgeschossen. Dieses Mal ist es der spanische Innenminister Jorge Fernández Díaz, der die bestehende Regelung im Schengen-Raum infrage stellt und wieder Kontrollen an den Binnengrenzen einführen will. Und das gerade jetzt. Nachdem in noch nie dagewesener Art und Weise von islamistischen Terroristen ein Anschlag auf einen unserer grundlegenden Werte, die Meinungsfreiheit, verübt wurde, soll ein anderes Grundprinzip geopfert werden: die Freizügigkeit. Und damit ausgerechnet jenes, das die Menschen und Völker in Europa enger zusammenbringt.

Was hier als präventive Maßnahme gegen terroristische Aktivitäten dargestellt wird, wäre eher ein Rück- als ein Fortschritt.

Es sollte sich endlich aber nicht mehr nur auf den sicherheitspolitischen Aspekt der Terrorismus-Prävention fokussiert werden. Es stimmt zwar, dass Menschen gestoppt werden müssen, die religiös-ideologisch bis zu einem Maße radikalisiert sind, das sie jede menschliche Hemmschwelle überschreiten lässt und zu solchen Barbareien fähig macht, wie wir sie vergangene Woche erlebt haben.

Doch tauchen diese Radikalen nicht aus dem Nichts auf. Es gibt einen Nährboden, auf dem sie gedeihen, einen, der sozio-ökonomisch kontaminiert ist, dem wesentliche Elemente wie Wissen und Bildung fehlen. So kommt es, dass vor Gotteshäusern dem Bekenntnis zur Meinungsfreiheit ein einschränkendes „aber“ folgt, dass bei montäglichen Demonstrationen in Deutschland der Zuzug von Menschen anderer Religionen und Ethnien abgelehnt wird und Flüchtlinge höchstens geduldet werden. Zu vielen fehlt die staatsbürgerliche Reife, zu viele finden sich in demokratischen Prozessen der Entscheidungsfindung nicht zurecht oder erkennen die Tragweite und den tieferen Sinn des Dreiklangs „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ nicht (mehr), für den Menschen vor mehr als 200 Jahren eben in Paris eine Revolution angefacht haben, in der die Aufklärung einen ersten Höhepunkt fand.

Prävention gegen Radikalisierung und damit letztlich auch terroristische Gewalttaten darf sich daher nicht auf die Verfeinerung von Kontroll- und Überwachungsmechanismen beschränken. Sie muss auch und vor allem jenen, die anfällig sind, Chancen bieten, um einen anderen Sinn in ihrem Leben zu finden.