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Ökonomisches IS-Kalkül

Ökonomisches IS-Kalkül

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Erpressung, Geiselnahmen, Spenden, ausländische Investoren, der Verkauf von antiken Kulturgütern und das Geschäft mit dem Öl: Die Einnahmequellen der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) sind breitgefächert.

Obschon der UN-Sicherheitsrat vergangenen August eine Resolution verabschiedet hat, die jeden mit Sanktionen bedroht, der mit dem IS Geschäfte macht, schreckt das kaum jemanden ab.

Dhiraj Sabharwal dsabharwal@tageblatt.lu

Die Ursachen hierfür sind vielfältig und ergeben sich aus der komplexen Eigenlogik des Wirtschafts- und Herrschaftssystems des IS. Zur Veranschaulichung bietet sich die Öl-Problematik an. Im Gegensatz zur Sanktionspolitik gegen Irans Öl-Handel sind die IS-Geschäfte viel schwieriger kontrollierbar. Während etwa der Iran die internationalen Spielregeln respektiert, um neue Absatzmärkte für sein Öl zu finden, basieren die IS-Geschäfte auf illegalen Schmugglernetzwerken. Diese kriminelle Finanzierung folgt kühlem, ökonomischem Kalkül: Obwohl die Deckung des Finanzbedarfs durch Dritte weiterhin relevant ist, versucht der IS, sich, im Gegensatz zu vielen Terrororganisationen, zunehmend selbst zu finanzieren. Das Ziel ist demnach die finanzielle Unabhängigkeit. Der Verkauf von Erdöl ist Kernstück dieser Strategie. Im Durchschnitt wird Rohöl für mehr als 80 Euro pro Fass verkauft. Die IS-Händler bieten Öl jedoch weit unter Marktwert an: 20 bis 60 Euro kostet das Fass lediglich. Trotz der anhaltenden Bombardements auf seine Stellungen soll der IS täglich zwischen 200.000 und 800.000 Euro alleine durch seine Ölgeschäfte erwirtschaften. Doch wie laufen die Deals mit dem gestohlenen Erdöl ab?

Ein altes System

Die Terror-Miliz profitiert von bestehenden Schwächen in den Sicherheitsstrukturen Syriens, des Irak und der Türkei. Vor allem Ankara ist zuletzt in den Mittelpunkt des Interesses gerückt. So lauten einige der Kritikpunkte, man habe zu wenig getan, um die türkischen Grenzen für ausländische IS-Dschihadisten zu schließen, und der IS habe von Öl-Verkäufen an die Türkei profitiert. Beide Kritikpunkte sind fundiert. Eine differenzierte Darstellung ist dennoch die Voraussetzung, um den Erfolg des IS-Wirtschaftsmodells besser zu verstehen. Die Türkei hat in der Tat im Süden des Landes zu durchlässige Grenzen. Dies ist jedoch nicht darauf zurückzuführen, dass Dschihadisten aus aller Welt hier besonders willkommen sind. Die Türkei ist zum einen wegen ihrer problemlosen Ein- und Ausreise für westliche Staatsangehörige entlang ihrer über 1.200 Kilometer langen Grenzen zum Irak und Syrien ein zentrales Transitland für zahlreiche Touristen, Grenzgänger – und auch Extremisten. Zum anderen hat das Land mit seiner offenen Flüchtlingspolitik mehr als 1,3 Millionen Syrer aufgenommen. Diese Politik der quasi offenen Grenzen ist ähnlich wie in Jordanien und dem Libanon mehr als begrüßenswert, allerdings erleichtert sie Terrortouristen eine vereinfachte Einreise in den syrisch-irakischen Krisenherd.

Dass die Türkei von Öl-Verkäufen durch IS-Milizen profitiert hat, ist nur bedingt zutreffend. Sie hat vielmehr über Generationen eine Schmuggelkultur zugelassen, die sich jetzt rächt. Der 30-jährige Krieg zwischen der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und der türkischen Regierung führte zu einer Verarmung der südöstlichen Region des Landes. Landwirtschaftliche Erträge gingen zurück, Schmuggel wurde zu einem der Haupteinkommen für viele Dörfer in der betroffenen Region. Die Regierung blickte bis vor Kurzem bei „Anti-PKK“-Dörfern weg. So ergibt sich die aktuelle Situation: Viele der staatlich tolerierten Schmuggler wissen gar nicht, ob sie Öl aus IS-Quellen kaufen. Das Öl wechselt die Hände angesichts der aktuellen Krisenzustände sehr oft. Zu oft. Was viele nicht stört – und nicht nur für wirtschaftlich angeschlagene Regionen in der Südtürkei von Vorteil ist.