Müssen wir hinhören und gehorchen, wenn der Vorsitzende der Bankenvereinigung, auf das viele von seiner Branche verdiente Geld verweisend, die Aufgabe der Luxemburger sozialen Eigenarten verlangt? – Und das in einem Ton, der mehr als nur Unmut weckt?
Alvin Sold asold@tageblatt.lu
Tageblatt.lu veröffentlichte eine Auswahl von Leserreaktionen, darunter einige, die von einem erschreckenden Niedergang der Streitkultur zeugen. So meinte einer, der sich das Pseudonym „Weihwasser“ zugelegt hat, Zitat: „Was der Herr Sold predigt, ist national gefärbter Sozialismus, kurz Nationalsozialismus.“
Muss man sich so was gefallen lassen? Als politischer Autor in einem Blatt, für das es noch heute eine Ehre ist, bereits am 8. April 1933, kurz nach dem Antritt der Nazis, in Deutschland verboten worden zu sein? Das Tageblatt stritt in den Dreißigerjahren aufrecht gegen die Feinde der Demokratie, ob von rechts oder von links; Hitler, Stalin, Mussolini, Franco waren aus unserer Sicht Schwerstverbrecher.
Man fand das Tageblatt nach dem Krieg an vorderster Front im Kampf für die politische, die soziale und die kulturelle Emanzipation der Menschen, weltweit. Es stritt gegen die politische, die soziale und die kulturelle Knechtung und leistete somit seinen Beitrag zur Entwicklung der Luxemburger Eigenarten, die zusammen das sind, was wir den Nachbarn mit einigem Stolz als das Luxemburger Modell darstellen.
Wie kommt einer darauf, mir (ausnahmsweise sei diese persönliche Form gestattet) den Nazi anzuhängen, weil ich die Souveränität gegenüber solchen ins Gespräch bringe, die, aus andern Ländern gekommen, behaupten, sie würden rechtens, wegen der wirtschaftlichen Interessen ihrer Firma etwa, einfordern, was wir zu tun hätten?
Was ist das für eine Mentalität?
Wieso unterstellte kein Geringerer als der Direktor der schon erwähnten Bankenvereinigung auf RTL, eindeutig auf das Tageblatt verweisend, wir seien die Protagonisten des „protektionistischen Klassenkampfes“, des „national angehauchten Sozialismus“? Weil wir uns, stellvertretend für Zehntausende Leser, über die arrogante Besserwisserei einiger lokaler Diener des internationalen Großpatronats ärgerten?
Luxemburg wurde 1839 von den damaligen Mächten als Pufferstaat zwischen deutschen und französischen Interessensphären geschaffen. Man scherte sich damals keinen Deut um die wirtschaftlichen Überlebenschancen des neuen Staates. Er musste notwendigerweise Kapital aus seiner Souveränität schlagen. Diese Souveränität, die Fähigkeit, kommerziellen Interessen gesetzgeberisch entgegenzukommen, bot der Stahlindustrie ein volles Jahrhundert lang Vorteile auf den Weltmärkten.
Sie, die Souveränität, steht natürlich am Ursprung aller heutigen Träger des modernen Luxemburgs. Wir hätten, wäre nicht im richtigen Moment die Trumpfkarte Souveränität gespielt worden, keine EU-Verwaltungen, keinen Finanzplatz, keine ArcelorMittal, keine SES, keine RTL Group, keine EU-Verwaltungen, keine Goodyear, keine DuPont, um nur die paar zu nennen.
Eine kontraproduktive Manier
Diese, unsere Souveränität ist in der Marktwirtschaft kein Selbstbedienungsladen. Für EU-Verwaltungen wie für gute Unternehmen, die Luxemburg gern als Partner sieht, ist die Souveränität, die uns 1839 auferlegt wurde, Grundlage eines Win-win-Geschäftes: Auch wir Luxemburger wollen daran unseren Anteil haben, nicht nur via Steuer, sondern eben, und gerade, in der Gestalt unserer, der Luxemburger Sozialgesetze.
Über die lässt sich immer und gerne streiten. Aber nicht auf die Art und Weise, wie einzelne Herren es als Sprecher ihrer Lobbys tun.
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