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Nicht dabei gewesen

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Es ist so weit. Heute (Montag / 10.12.12) erhalten wir den Friedensnobelpreis. Na ja, jedenfalls sollten wir ihn erhalten. Obwohl ich nicht weiß, ob man einen Preis auch dann erhalten hat, wenn man ihn nicht in Empfang nimmt.

Denn es sieht so aus, als ob viele der 27 Länder der Europäischen Union gar nicht in Oslo vertreten sein würden. Auch Luxemburg nicht. Eines der Gründungsländer der heutigen EU. Und damals nicht das kleinste. Damals nämlich, als die Vorläufer der EU gegründet wurden, ging es um Stahl. Und da waren Luxemburgs Produktionszahlen nicht die geringsten der sechs Länder. Na ja, die Zeiten ändern sich. Wobei Geldgier von Aktieninhabern, globalwirtschaftliche Überlegungen von Konzernherren und eine Politik, die es nicht verstanden hat, Standortvorteile zu wahren, es den Zeiten natürlich einfacher gemacht haben, sich zu ändern.

Serge Kennerknecht skennerknecht@tageblatt.lu

Reicht es also, dass der französische Präsident François Hollande und die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel neben anderen den Preis für uns in Empfang nehmen, damit wir mit Fug und Recht sagen können, wir haben den Friedensnobelpreis? Hollande und Merkel als Nachfolger eines Jean Monnet, Robert Schuman und Konrad Adenauer? Also jener Vordenker, für deren Werk wir den Preis laut Komitee-Begründung eigentlich erhalten, weil sie die Grundsteine legten für einen dauerhaften Frieden in Europa seit Ende des letzten Weltkrieges. Eine Art posthumer Preis also für ein Lebenswerk, dessen Erfolg, ein geeintes und friedliches Europa, die eigentlich Gemeinten nicht mehr erleben konnten. Auch den Balkankrieg nicht. Doch selbst der kann nichts an den Voraussetzungen für den Friedensnobelpreis ändern, denn der fand damals vor der Haustür oder im Vorhof Europas statt, wie es offiziell hieß. Und jetzt, da er den Vorhof durchschritten hat und mit einem Bein bereits über die Türschwelle hinweg ist, reden wir ja nicht mehr von diesem Krieg. Sagte da wer Kosovo? Alles ist also bestens in dem Besten des vereinten Europas. Und dann geht keiner hin. Zu dieser Preisverleihung nach Oslo.

Es gibt noch die Neider

Vielleicht ist es ja auch so, dass eigentlich keiner so recht weiß, wer denn da hin soll. Die Staats- und Regierungschefs der Mitgliederländer, Martin Schulz, der Präsident des EU-Parlaments, EU-Kommissionspräsident Barroso oder Präsident Van Rompuy? Er ist Belgier und somit auch Bürger eines Gründerstaates. Als Präsident wird er wohl den Preis in Empfang nehmen. Mit anderen Worten, alle anderen, die da sind, nehmen eigentlich nichts entgegen. Auch nicht Kanzlerin Merkel, auch nicht Präsident Hollande. Damit ist meine Frage beantwortet: Merkel und Hollande reichen nicht. Dann haben wir den Preis ja nicht. Den hat der Van Rompuy. Reicht der für uns?

Und dann gibt es ja auch noch die Neider. Dieser Desmond Tutu ist so einer. Er ist selber Friedensnobelpreisträger. Seit 1984. Und er hat Angst, dass so eine Art Inflationswelle den Stellenwert des Preises schmälert. Warum sonst würde er behaupten, die EU habe den Preis gar nicht verdient, weil sie nicht nur Friedensstifter sei. Da ist man aber erstaunt. Nicht, dass er das sagt, er wird sicher wissen, warum. Aber gemach, gemach. Wir bekommen den Preis ja dafür, dass wir bei uns selber endlich Frieden gestiftet haben. Keiner stellt die Ansprüche, dass man den Friedensnobelpreis auch dafür bekommen sollte, bei anderen zu helfen, Frieden zu stiften. Aber immerhin hatten wir schon Ansätze in diese Richtung, da war Barack Obama mal eben gewählt. Und wurde prompt zum Friedensnobelpreisträger ernannt. Dabei hatte er ja noch gar nichts machen können, in der kurzen Zeit. So gesehen reicht Van Rompuy sicherlich.

Dennoch, dieser Tutu. Er scheint eine ganz andere Sicht der Europäischen Union zu haben als wir. Vielleicht beurteilt er auch nur die einzelnen Länder. Wir sind zwar eine Union, aber nicht überall. Da gibt es Mitgliederstaaten, die haben eigene Interessen. In Nord-, Süd- oder Mittelafrika etwa, in ölfördernden Staaten oder anderen mit reichen Bodenschätzen. Und da kann man natürlich hie und da wohl nach dem vermeintlich Rechten, aber nicht immer bis ins letzte Detail nach allen Rechten schauen. Jedenfalls wird das immer so dargestellt. Sowieso hat das nichts mit der Europäischen Union zu tun. Die hilft mit Geld überall in diesen Ländern. Wie jetzt in Mali. Und eine gemeinsame Außenpolitik haben wir immer noch nicht. Vielleicht, weil wir keine solche wollen. Also wir schon, aber wir sind nicht alle, so einfach ist das. Und dann sagen, nur weil einige EU-Mitglieder eine eigene Politik in verschiedenen nicht-europäischen Ländern verfolgen, das sei die Verantwortung der ganzen Union. Ich werde das Gefühl nicht los, dass es Leute gibt, wie Tutu und andere, die uns den Preis nicht gönnen. Oder sollte er recht haben, und wir haben den Preis gar nicht verdient? Dann sind die leeren Stühle in Oslo sicher ein Zeichen kluger politischer Überlegung. Sie wird es uns erlauben, weiterhin nach allen Richtungen offen zu sein. Der Friedensnobelpreis wird unser gutes und reines Gewissen nicht belasten. Frei nach dem Motto: Wir haben ihn, aber wir sind nicht dabei gewesen.