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Nationale Querschüsse

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Mit dem Sinn-Sprüchelchen „Think global, act local“ wirbt vor allem die Umweltbewegung für einen verantwortungsvollen Umgang mit den natürlichen Ressourcen, für eine Bewusstwerdung des Umstandes, dass auch lokale Entscheidungen ihre Auswirkungen auf andere haben können, die weit entfernt leben und daher eigentlich im täglichen Handeln nicht in Betracht gezogen werden.

Man kann dahinter zudem einen Aufruf zur Solidarität erkennen, dass lokales Handeln eben auch zum Nutzen anderer sein kann.

Guy Kemp gkemp@tageblatt.lu

Es scheint sich in der deutschen Debatte über die Schuldenkrise in der Eurozone derzeit allmählich eine fatale Abwandlung dieser Formel durchzusetzen. „Think local, act global“ scheint die Devise zu sein, mit der die Kleinkoalitionäre während der Sommerpause aus dem politischen Schatten der Kanzlerin Angela Merkel ausbrechen wollen. Ein Ausbruchversuch, der am Montag vom Eurogruppen-Vorsitzenden Jean-Claude Juncker scharf kritisiert wurde. Vermutlich ist die im Urlaub weilende Frau Bundeskanzlerin nicht einmal sehr erbost über diese Zurechtweisung, hat sie doch in den vergangenen Tagen sowohl mit dem französischen Präsidenten François Hollande als auch mit Italiens Mario Monti eindringliche Erklärungen zur Erhaltung des Euro abgegeben. Da ist es schon lästig, wenn innerhalb der Regierungskoalition aus Merkels Sicht ein Provinzfürst (die Ihrigen hat sie längst alle kaltgestellt) sowie ein in den eigenen Reihen angezählter Juniorpartner die Versuche um Beruhigung der sich zuspitzenden Lage im Währungsgebiet konterkarieren.

Europäische Maßstäbe anwenden

Die schärfsten Gegenreaktionen riefen die Juncker’schen Äußerungen in der Süddeutschen Zeitung über jene Politiker in Deutschland, die „andauernd Innenpolitik in Sachen Euro-Frage“ betreiben würden, in der bayerischen CSU hervor. Damit hatte der luxemburgische Premier jedoch den Kern des hauptsächlich deutschen Problems bei der Bewältigung der Krise getroffen. Denn es ist nicht nur die Verbissenheit, mit der deutsche Politiker versuchen, die europäische Krise aus ausschließlich deutscher Sicht zu betrachten und mit deutschen Mitteln zu lösen, die allmählich zum eigentlichen Problem wird. Es ist auch das ständige und offensichtliche Schielen auf einen möglichen innenpolitischen Gewinn, den mancher Bundespolitiker mit seinen europapolitischen Querschüssen zu erzielen trachtet, was die Bewältigung der Krise erschwert.

Wenn darüber hinaus aus deutschen Regierungskreisen auch noch die Möglichkeit eines Austritts Griechenlands aus der Eurozone als reale Option in Betracht gezogen wird, kommt das geradezu politischer Brandstiftung gleich. Zu Beginn der griechischen Schuldenkrise wurden eben auf dieses Szenario von Finanzspekulanten Wetten abgeschlossen. Seitdem wurde sich in Brüssel das Wort gegeben, genau dies zu verhindern, da sich niemand auszumalen wagt, welche Konsequenzen ein solcher Schritt nicht nur für die Eurozone, sondern für den europäischen Integrationsprozess insgesamt hätte.

Mit ihren Auslassungen beweisen Horst Seehofer und Philipp Rösler einen Mangel an europäischem Format. Mit ihrer bayerischen oder eingeschränkt bundesrepublikanischen Betrachtungsweise lässt sich kein Ausweg aus der europäischen Schuldenkrise finden. Dazu müssen europäische Maßstäbe angewandt werden; in nationalen Kategorien zu denken, bringt Europa nicht weiter.