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Mitreden erwünscht

Mitreden erwünscht
(Alain Rischard/editpress)

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Fast unbemerkt ist vor einer knappen Woche das Projekt eines der wichtigsten, wenn nicht des wichtigsten Textes vorgelegt worden, der das Zusammenleben in unserer Gesellschaft regelt. Nach mehr als zehnjähriger Vorarbeit, mehrmaligen Versuchen seit den 1980er-Jahren steht nun der Vorschlag für eine Verfassungsrevision, der von einer großen Mehrheit im Parlament getragen werden könnte.

Lucien Montebrusco lmontebrusco@tageblatt.lu

In vorerst 131 Artikeln werden Organisation von Parlament, Regierung und Justiz geregelt, die Grundrechte der Bürger festgeschrieben. Abgeschlossen ist die Arbeit am Revisionsprojekt nicht. Noch fehlen die Ergänzungen, die sich aus dem Ergebnis des Referendums vom 7. Juni ergeben könnten, insbesondere das Wahlrecht für alle Einwohner und die Mandatsbegrenzung für Minister.

Was sich demnach am 7. Juni abspielen wird, färbt unmittelbar auf den Inhalt des Grundgesetzes ab, zumal die Regierungsparteien stets betonen, dass das Referendumsergebnis, obwohl nur konsultativ, für sie bindenden Charakter haben wird.

Erstmals bittet eine Regierungsmehrheit die Bürger, sich über wesentliche Aspekte des gesellschaftlichen Zusammenlebens zu äußern. Die drei Referendumsfragen sind dabei nur einzelne Elemente einer weit über den 7. Juni hinausgehenden Diskussion, soll doch der Entwurf zur Verfassungsrevision in zwei Jahren ebenfalls zur Volksbefragung ausliegen, dieses Mal mit bindendem Charakter. Sie wird die zweite Abstimmung im Parlament ersetzen.

Ein Blick in den vorliegenden Textvorschlag lohnt sich, der Vergleich zur aktuellen Verfassung allemal. Denn die Änderungen sind nicht nur sprachlicher Natur. Neben einer Neustrukturierung lassen vor allem inhaltliche Neuerungen aufhorchen. Die Rolle des Staatsoberhaupts wird strenger reglementiert. Erstmals erwähnt wird der Großherzog, in Zukunft meist Staatschef genannt, im Revisionsentwurf in Artikel 43 im dritten Kapitel, zurzeit ist es bereits in Artikel 4 in Kapitel eins. Erstmals wird der ersten Staatsgewalt, dem Parlament, auf Bitte der Regierung das Recht eingeräumt, den Staatschef zur Abdankung zu zwingen, sollte er seinen verfassungsrechtlichen Verpflichtungen nicht mehr nachkommen. Neu auch das Initiativrecht für die Bürger, die dem Parlament Gesetzesvorschläge werden unterbreiten können. Neue Grundrechte, dank internationaler Verträge auch so bereits anwendbar, werden in der Verfassung präzisiert.

Das Revisionsprojekt betrifft jeden Einzelnen in diesem Land, nicht nur Verfassungsrechtler und Berufspolitiker. Mitsprache ist erwünscht, sagt Alex Bodry (LSAP), Präsident des Ausschusses Institutionen und Verfassungsreform. Kurzfristig soll das Parlament eine entsprechende Webseite einrichten, auf der sich der Bürger wird äußern können.

In Zeiten von Facebook, Twitter und Co. und der ultrakurzen Messages stellt der 18-seitige DIN-A4-Text des Verfassungsentwurfs indes eine echte Herausforderung dar. Zumal es oftmals an Basiswissen über Luxemburgs politische Institutionen mangelt, Begriffe wie aktives oder passives Wahlrecht beispielsweise vielen unverständlich sind. Da besteht noch so mancher Erklärungsbedarf. Andererseits: Wann bietet sich schon die Gelegenheit, über ein Grundgesetz mitzubestimmen?