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Mit Maggie gegen Maggie

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„Ding Dong, die Hexe ist tot“, singen momentan nicht wenige Menschen in Großbritannien. Das alte Judy-Garland-Lied aus dem „Zauberer von OZ“ von 1939 belegte am Sonntag wieder Platz eins in den englischen Charts.

Mit der Hexe ist natürlich Baroness Thatcher gemeint, die diese Woche zu Grabe getragen wird. Ihr größtes Erbe lebt aber munter weiter. Die Rede ist hier von der Entfesselung der Finanzmärkte. Maggie Thatcher hatte daran einen wesentlichen Anteil mit dem sogenannten „Big Bang“ am 27. Oktober 1986 geliefert. An dem Tag wurde so ziemlich alles dereguliert, was dereguliert werden konnte.

Sascha Bremer sbremer@tageblatt.lu

Allen Unkenrufen zum Trotz erklären sich die heutigen Probleme in der Finanzwelt – und damit zu einem wesentlichen Teil auch in der realen Welt – nämlich nicht dadurch, dass es verschiedene Steuersätze in den einzelnen Ländern auf dem Globus gibt. Die Instabilität entsteht durch die gewollte Grenzenlosigkeit des Kapitalflusses.

Letzteres hat seine guten Seiten. Weil das Geld eben weltweit investiert werden kann – auch das der kleinen Sparer –, um zur Wirtschaftsentwicklung beizutragen. Zur Erinnerung: Auch das Kapitel der luxemburgischen Stahlindustrie wäre ohne ausländische Gelder nicht denkbar gewesen.

Das hat aber auch seine schlechten Seiten. Die Freizügigkeit des Kapitals bringt u.a. mit sich, dass man dieses, aus welchem Grund auch immer, irgendwo auf der Welt verstecken kann.

Es wäre sicherlich lobenswert, über Vor- und Nachteile dieses Zustandes in der Öffentlichkeit zu diskutieren.

Dazu ist der Westen – die Menschen, die Politiker und viele Medien – jedoch nicht mehr bereit. Überall, wo man hinsieht, herrscht (mediale) Hysterie. Kein Wunder eigentlich angesichts der Akkumulation an Krisen: Es gibt die Finanz- und Wirtschaftskrise, den Aufstieg anderer Erdteile und somit auch den Bedeutungsverlust des unsrigen, den weitverbreiteten Vertrauensverlust in die Politik, die Arbeitslosigkeit, die Rückkehr der nationalen Egoismen etc., etc,. etc.

Die Schnelllebigkeit des Internetzeitalters tut ihr Übriges und bringt mit sich, dass unsere westlichen Gesellschaften nicht mehr imstande sind, die Wurzeln der Probleme zu erkennen, sie zu diskutieren und Lösungen zu finden.

Mit anderen Worten: Den westlichen Gesellschaften wurde der Boden unter den Füßen weggezogen, und dadurch haben sie den Überblick verloren.

Vielleicht ist es aber schlicht unmöglich, dass sich unsere Gesellschaften davon erholen, weil es sie im Grunde eigentlich nicht gibt. „There is no such thing as society“, sagte Margaret Thatcher einst.

Der Satz wird oft und gerne aus dem Kontext genommen, um das Schlechte an sich des Thatcherismus zu belegen. Weiter sagte sie jedoch: „Es gibt individuelle Männer und Frauen, und es gibt Familien. Und keine Regierung kann etwas unternehmen ohne die Menschen, und die Menschen müssen zuerst nach sich selber schauen. Es ist unsere Pflicht, erst nach uns selber zu schauen und danach auch nach unseren Nachbarn. Die Menschen haben ihre Ansprüche zu sehr im Kopf, ohne Pflichten. Es gibt jedoch keine Ansprüche, ohne dass jemand zuerst seine Pflichten erfüllt hat.“
Zugegeben, die Aussage ist konfus. Sie macht Thatcher beileibe nicht zu einer Heiligen – allein deshalb, weil die Nutznießer des Thatcherismus, all die Finanzmilliardäre, ihre Pflichten, besonders gegenüber den Nachbarn, „vergessen“ haben.

Was die Iron Lady nicht vererbte

Sinnvoll ist es jedoch durchaus, dass wir alle über unsere Pflichten nachdenken. Sie bestehen bestimmt nicht darin, blind dem Konsumerismus zu verfallen, Ungerechtigkeiten einfach hinzunehmen, sich nur halb zu informieren, sich politisch nicht zu engagieren und sich vor allem nicht solidarisch zu zeigen. Dies ist mit Sicherheit nicht das, was Maggie Thatcher gewollt hätte. Allein deshalb, weil sie lieber zugunsten einiger weniger spaltete, statt zu einen. Aber auch einer „Hexe“ kann mal ein Halbgedanke entweichen, der sich lohnt, zu Ende gedacht zu werden.