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Machtkampf in Kairo

Machtkampf in Kairo

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Rund einen Monat vor der Präsidentschaftswahl, die am 23. und 24. Mai stattfinden soll, wird die Lage in Ägypten jeden Tag chaotischer und unübersichtlicher. Dass die Übergangsphase nach dem Sturz des ehemaligen Despoten Hosni Mubarak alles andere als vorbildlich verläuft, zeigt sich allerdings bereits seit Monaten.

Der Oberste Militärrat, der SCAF (Supreme Council of Armed Forces), der das Land seit der Revolution regiert, krallt sich an die Macht und versucht, sich einen dauerhaften Einfluss auf das politische und wirtschaftliche Geschehen des Landes zu sichern. Dabei sind ihm fast alle Mittel recht.

Michelle Cloos mcloos@tageblatt.lu

So gab und gibt es auch nach Mubaraks Fall weiterhin zahlreiche willkürliche Verhaftungen, Polizeigewalt, Schauprozesse und Verurteilungen von Kritikern sowie Attacken gegen die Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Der Demokratisierungsprozess ist bislang ein leeres Versprechen geblieben. Gleich mehrere Kandidaten, darunter sogar einige Favoriten, wurden aus unterschiedlichen Gründen disqualifiziert. Dass der regimetreue Ex-Geheimdienstmann Omar Suleiman, der Salafist Hasem Abu Ismail und Chairat al-Schater von der islamischen Bruderschaft – die noch vor einem Jahr versprochen hatte, keinen Präsidentschaftskandidaten ins Rennen zu schicken – nicht an der Wahl teilnehmen dürfen, ist an sich kein Verlust.

Doch diese Eliminierungen werfen dunkle Schatten auf den Wahlprozess, der fair und frei sein sollte, jedoch immer mehr an Legitimität verliert. Warum Mubaraks heftig umstrittener Weggefährte Ahmad Schafik sich hingegen zur Wahl aufstellen darf, bleibt auch ein Rätsel.

Die Hoffnungen auf eine neue Verfassung, die grundlegende Veränderungen bringen könnte, wurden ebenfalls deutlich gedämpft. Nachdem die Islamisten letztes Jahr die Parlamentswahlen haushoch gewonnen hatten, nutzten sie ihr Machtmonopol gnadenlos aus und besetzten die Kommission, die mit der Ausarbeitung einer Verfassung beauftragt werden sollte, fast ausschließlich mit konservativen und religiösen Repräsentanten. Das Ungleichgewicht war so offensichtlich, dass die wenigen säkularen und koptischen Kommissionsmitglieder das Gremium aus Protest verlassen haben.

Konservativ und neoliberal

Die Politik der Bruderschaft ist einerseits konservativ auf gesellschaftlicher und religiöser Ebene und neoliberal in puncto Wirtschaftspolitik. Mit einem solchem Programm dürfte sie, entgegen ihrer Wahlpropaganda, wohl kaum für mehr soziale Gerechtigkeit sorgen. Ihre abwechselnden Allianzen und Auseinandersetzungen mit dem SCAF zeugen von einer Strategie, deren wahres Ziel die Machtergreifung und die Machterhaltung ist.

Die Armee ist ihrerseits ein Staat im Staate und eine der wichtigsten wirtschaftlichen Kräfte am Nil. Diesen Status will sie nicht nur beibehalten, sondern noch ausbauen. Die Verlierer des Kräftemessens zwischen Armee und Islamisten sind natürlich die Revolutionäre – die jungen Menschen, die für ein offeneres, moderneres und gerechteres Ägypten gekämpft hatten. Überraschend ist dieser Machtkampf nicht, traurig ist jedoch, dass die internationale Gemeinschaft, wie bereits zu Mubarak-Zeiten, die Augen verschließt und die Missstände im neuen, alten Ägypten wenig bis überhaupt nicht kritisiert.