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Kolumne„Let’s talk about Tokyo Olympics“

Kolumne / „Let’s talk about Tokyo Olympics“
Die Sonne geht über dem Nationalstadion, dem Hauptaustragungsort der Olympischen Spiele und Paralympics in Tokio, unter Foto: kyodo/dpa

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Sechs Monate vor dem geplanten Beginn der um ein Jahr verlegten Olympischen Sommerspiele von Tokio (23. Juli – 8. August) sieht es nicht rosig um deren Durchführung aus. In der japanischen Hauptstadt und den drei benachbarten Provinzen Chiba, Saitama und Kanagawa wurde am 7. Januar der Notstand ausgerufen, der für einen Monat gelten soll.

Nach dem Auftreten der ersten Fälle mit der neuen britischen Variante machte die Regierung die Grenzen für Ausländer dicht. Im Gegensatz zu einer Reihe von europäischen Ländern, wo es einen sogenannten „harten Lockdown“ gibt, aber muten die Maßnahmen, die im Land der aufgehenden Sonne getroffen wurden, eher „sanft“ an. Bars und Restaurants sind am Tag geöffnet, sie dürfen bis 19 Uhr Alkohol ausschenken, müssen um 20 Uhr aber schließen.

Auch die Infektionszahlen in Japan (126,5 Millionen Einwohner) sind mit europäischen oder amerikanischen Werten nicht vergleichbar. Landesweit stiegen sie am 8. Januar auf den bisherigen Tageshöchstwert von 7.863 Fällen, danach sanken sie.

Besser als Luxemburg

Am letzten Donnerstag (28. Januar) wurden für ganz Japan 4.162 Fälle registriert. In Tokio selbst  (14 Millionen Einwohner) zählte man seit Ausbrechen der Pandemie rund 100.000 Fälle und 850 Tote. Im Vergleich mit Luxemburg (600.000 Einwohner, 50.000 Fälle, 577 Tote) ist die japanische Hauptstadt bisher also relativ gelinde durch die Pandemie gekommen.

Die im eigenen Land registrierten Infektionszahlen, die von vielen als niedrig und „noch vertretbar“ angesehen werden, können zum Teil eine Erklärung dafür sein, dass das Organisationskomitee von Tokio 2020+1 weiterhin der Meinung ist, die Spiele heil über die Distanz bringen zu können. Die Bevölkerung ist da anderer Meinung, denn laut einer Umfrage wollen rund 80 Prozent kein Olympia. Es ist allerdings fraglich, ob diese Zahl wirklich repräsentativ ist, denn erstens wurden nur 1.041 Leute befragt und zweitens meinten über die Hälfte der Ablehner, man solle die Spiele ein zweites Mal verlegen. Nur 35 Prozent sagten wirklich „Nein zu Olympia“.

Eine große Schmach

Selbst wenn es 1964 die Olympischen Spiele schon einmal mit Erfolg organisierte, scheint Japan mit dem größten Sportfest der Welt ein klein wenig auf Kriegsfuß zu stehen. Zweimal (1960, 2016) wurde die Kandidatur Tokios von den Herren im IOC für nicht gut befunden. Im Jahr 1940 sollte „Nippon“ sowohl die Winterspiele (Sapporo) als auch die Sommerspiele (Tokio) organisieren. Zuvor war in der japanischen Hauptstadt eine sogenannte Jugend-Olympiade für Sportler und Sportlerinnen bis 18 Jahre angesagt. Insgesamt 31 Länder beteiligten sich an den Wettkämpfen, der Einzug ins Meiji-Stadion erfolgte sogar nach den Vorschriften des olympischen Protokolls.

Danach marschierte Japans Armee in China ein. Das Geld wurde knapp und anderwärtig gebraucht, sodass die Regierung dem Organisationskomitee die finanzielle Unterstützung verweigerte. Tokio musste die Spiele im Jahr 1938 an das IOC zurückgeben, was noch heute von vielen Japanern als große Schmach angesehen wird.

Eine ähnlich empfundene Demütigung möchten Premierminister Yoshihide Suga und das Organisationskomitee mit ihrem Vorsitzenden Yoshiro Mori dem stolzen Land ersparen. Darum will Mori nichts von einer Olympiamüdigkeit seines Volkes hören. Auch die Medien bleiben Olympia treu. Sie können nicht anders, denn die fünf größten Zeitungen Japans und deren Fernsehsender gehören alle zum erweiterten Sponsorenpool der Spiele.

Es geht um viel Geld

Weil die weltweite Verbreitung der Corona-Infektionen (101 Millionen Fälle, über 2 Millionen Tote) von Tag zu Tag mehr Fragen in Bezug auf Olympia aufwirft als die Verantwortlichen von Tokio 2020+1 beantworten können, versteifen sie sich im Moment darauf, die Patriotismustrommel zu rühren und die kritischen Geister wissen zu lassen, die Durchführung der Spiele würde nichts anderes als den Sieg der Menschheit über die Corona-Pandemie bedeuten. Thomas Bach, der Präsident des IOC, spricht „vom Licht am Ende des Tunnels“.

In Wirklichkeit aber geht es um etwas anderes, nämlich um viel Geld. Eine Annullierung der Olympischen Spiele würde Japan 35,6 Milliarden Euro kosten, eine Summe, die rund einem Prozent des Bruttoinlandsprodukts entspricht. Dies hat Professor Katsuhiko Miyamoto, Wirtschaftswissenschaftler an der Universität von Kansai, errechnet. Laut derselben Studie würde eine erneute Verlegung die Summe von fünf Milliarden Euro verschlingen.

Erst 61% Athleten

Sollten die Spiele ohne Publikum stattfinden, hätte das Organisationskomitee einen finanziellen Ausfall von 19 Milliarden Euro, bei zur Hälfte besetzten Zuschauertribünen immerhin noch ein Minus von 11 Milliarden Euro.

Angesichts dieser enormen Zahlen kann man die Sturheit und den hartnäckigen Willen der Regierung, des Organisationskomitees und des Internationalen Olympischen Komitees verstehen, die Spiele unbedingt abhalten zu wollen. Fragt sich nur, unter welchen Umständen.

Im Mittelpunkt von Olympischen Spielen stehen an erster Stelle die Sportler. Sie alle haben es nach jahrelanger Vorbereitung verdient, sich miteinander zu messen und Medaillen anzupeilen. Bis jetzt sind rund 6.700 der 11.000 erwarteten Athleten für Tokio qualifiziert. Über ein Drittel der Wettkampfplätze aber sind noch nicht vergeben. Die Qualifikationen sollen vor dem 29. Juni abgeschlossen sein. So steht es jedenfalls auf dem Papier.

Fragezeichen Qualifikation

Die Praxis muss nun zeigen, wie, wann, wo und von wem diese Wettkämpfe angesichts der mit der Pandemie verbundenen Restriktionen ausgetragen werden können. So wurde anfangs der Woche die Olympiaqualifikation im Synchronschwimmen, die vom 4. bis 7. März im Tokyo Aquatics Center geplant war und als erster Test mit Maßnahmen zum Schutz gegen eine Ausbreitung von Covid-19 dienen sollte, wegen Corona abgesagt.

Immer wieder bringt man in diesem Zusammenhang die Impfungen ins Spiel. Das IOC aber schließt sich der mehrheitlichen Meinung der Bevölkerung an, dass diejenigen Priorität genießen sollen, die sich um die Gesundheit der andern kümmern, also an erster Stelle die Ärzte und das Pflegepersonal. Interessant ist es auch zu erfahren, dass nicht unbedingt alle Sportler für eine Impfung sind. So sagt beispielsweise die japanische Langstreckenläuferin Hitomi Niiya, sie „wolle ihren Körper vor neuen Substanzen schützen“.

Eines steht bisher fest: Die Sportler können nicht während der ganzen Dauer der Spiele im Olympischen Dorf logieren. Sie dürfen erst fünf Tage vor ihrem Wettkampf anreisen und müssen das Quartier spätestens 48 Stunden nach dem sportlichen Einsatz verlassen. Neben den üblichen Sicherheitsvorkehrungen (Abstand halten, Maske tragen) werden häufige Tests durchgeführt und es gelten gestaffelte Essenszeiten.

Ohne Publikum?

Irgendwie dürften all diese Auflagen noch verkraftbar und erfüllbar sein. Die Olympischen Spiele aber lebten bisher nicht allein durch die Sportler, deren Betreuer oder Funktionäre, sondern auch durch die Zuschauer und die Medien, ohne die sie nie den Glanz bekommen hätten, den sie sich in den 125 Jahren ihres Bestehens erschufen. Im November 2020 schlossen die Organisatoren es noch aus, Olympia ohne Zuschauer stattfinden zu lassen, mittlerweile aber sind sie einsichtig geworden, dass es mit Publikum fast unmöglich ist, Tokio 2020+1 glatt über die Runden zu bringen. Es dürfte demnach nur noch eine Frage der Zeit sein, bis die Entscheidung verkündet wird, dass zumindest ein Teil, wenn nicht gar alle Zuschauer sich die Wettkämpfe im Fernsehen anschauen müssen.

Auf nähere Informationen warten auch die Journalisten, Reporter, Fotografen und Kameraleute, die über die Olympischen Spiele berichten sollen. Während einer Videokonferenz mit 280 Medienvertretern aus der ganzen Welt kündigte IOC-Pressechefin Lucia Montanarella im Laufe der Woche die sichersten Spiele aller Zeiten an und verriet, dass die Medienplätze an den Wettkampfstätten neu durchdacht wurden.

Warten auf den 4. Februar

Zu den Athleten müsse ein Abstand von zwei Metern gehalten werden, zu den anderen Personen gelte eine Distanz von einem Meter. Die „Gelackmeierten“ der neuen Verordnungen werden vor allem die Fotografen sein, denn viele der sonst üblichen Arbeitspositionen dürften wegfallen.

Auf die Frage Ihres Kolumnisten, wie denn ein positiver Test eines Medienvertreters im Pressezentrum und im Hotel des Infizierten gehandhabt würde, wollte Montanarella nicht antworten. Sie verwies auf das Handbuch, das am 4. Februar erscheint und in dem alle Richtlinien, Sicherheitsmaßnahmen und Restriktionen für die Presse veröffentlicht werden. Ein jeder könne dann selbst entscheiden, ob er die Reise nach Tokio antreten will oder nicht. Virtuelle Akkreditierungen wird es keine geben, man wolle vielmehr diejenigen Medienvertreter bevorzugt behandeln, die vor Ort sind.

Wer weiß, vielleicht ist Olympia mit aller Macht heil über die Distanz zu bringen. Ein Fest daraus machen aber kann im Sommer 2021 niemand. Und darum sei die Frage erlaubt, ob auf Biegen und Brechen risikolos alles versucht werden muss, um die Welt mit etwas Halbherzigem zu beglücken, statt nur eines im Kopf zu haben, das jeden von uns etwas angeht: unsere Gesundheit.