„Wir leben inmitten von Menschen, die alle absolut recht haben.“ (A. Camus)
Albert Camus kannte die sozialen Medien noch nicht. Was würde er heute schreiben?
Jemand schreibt etwas ins Internet. Die einen finden das „super“ und entsenden „Smileys“. Andere sind empört und generieren einen „Shitstorm“. Smileys gegen Shitstorm. Ich mag die Subtilität dieser medialen Streitgespräche. Was für die Smileys weiß ist, ist für die Shitstormers schwarz und umgekehrt. Jeder hat natürlich recht. Absolut. Jeder hat aber nur in einem gewissen Maße, unter verschiedenen Berücksichtigungen und perspektivisch bedingt recht. Absolut recht kann nur der haben, der über alles Bescheid weiß. Und das wäre Gott, wenn es ihn nun gäbe. In dieser Frage haben ja auch alle recht. Jene, die sagen, es gibt ihn, wie jene, die das verneinen. Keiner kann seine Behauptung beweisen. Die Nuance wäre in diesem Fall, friedlich den Beweis ob der Existenz oder Nichtexistenz Gottes abzuwarten.
Wenn ein Philosoph sich über bedenkliche Entwicklungen der öffentlichen Moral in Sachen Gender aufregt, Entwicklungen, welche darüber hinaus, seiner Ansicht nach, in totalitäres Denken ausarten, so hat er natürlich absolut recht. ln seinem Sinn. Aus seiner religiösen und philosophischen Weltanschauung heraus. Er kann ja als lauterer Denker nur das vermitteln, was er für recht hält. Wenn ich aus einer gottlosen, eher libertären Weltanschauung nicht mit ihm einverstanden bin, habe ich auch das Recht, das mitzuteilen. Ich muss das tun, weil ich überzeugt bin, in meinem Sinn recht zu haben. Meine Überzeugung ist aber nur der Ausdruck meines bescheidenen Denkens und in keiner Weise in irgendeiner ewigen Wahrheit verankert. Sie bleibt stets von überlegenem Denken angreifbar und soll es auch sein. Ich bin aber so unbescheiden, zu denken, dass dieser Angriff kein totaler sein kann, im Sinn von Gut und Böse. Er kann sich nur in Nuancen ausdrücken. Das Gute wie das Böse gibt es nicht, außer wiederum in der göttlichen Vorsehung.
Es gibt das Böse und die Bösen in vielen Schattierungen, so wie es das Gute und die Guten in vielen Nuancen gibt. Vordergründig ist das wahr in der Politik. Ich glaube zum Beispiel nicht, dass Putin der einzige Böse ist, obschon er sich heuer viel Mühe gibt, das zu verkörpern. So wenig glaube ich, dass die Amerikaner die Guten sind. Gott bewahr. Nur geht es in der Politik nicht um das Gute und das Böse. Es geht um Macht und Vorherrschaft. Um die zu erreichen, steht seit Jahrtausenden das Gute auf dem Banner, welches das Böse auf dem Schlachtfeld entfesselt. Putin spricht ja auch nur von all dem Guten, das er in der Ukraine für die Ukrainer und nebenbei für Russland will. Der Westen und die Amerikaner sprechen sich auch nur in frommen Wünschen für die Befreiung der Ukraine und die Festigung der NATO aus. Nur Gutes im Spiel. Und was geschieht in der Ukraine? So wie Putin die seinen verfolgen die Amerikaner ihre Pläne in der Ukraine. Wen interessiert es, zu wissen oder zu glauben, ob da Gutes oder Böses am Werk ist?
In der Ukraine erleben wir heute den analogen Shitstorm. Der, welcher Menschen tötet, der aber aus demselben Mangel an nuanciertem Denken entstanden ist. Letzteres braucht es nicht unbedingt, um Krieg zu führen, aber auf jeden Fall um den Frieden wiederherzustellen. Bis zum nächsten Mal.
Solange in den sozialen Medien jeder seine Meinung äussern kann, die er für die einzig richtige hält ist das ok. Bedenklich wird es erst, wenn Beträge gelöscht werden, die von einigen "Gegnern" als Hate Speech gemeldet wurden, obwohl sie im strafrechtlichen Sinne noch von der Meinungsfreiheit abgedeckt sind. Oder wenn ein Account gesperrt wird, weil seine Richtung einigen Leuten nicht passt, ohne jemals die Grenze zum Strafrechtlichen überschritten zu haben.