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LeserforumWählen: warum, weshalb, wieso, wofür?

Leserforum / Wählen: warum, weshalb, wieso, wofür?

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Das Aushängeschild einer Demokratie sind freie Wahlen, an denen jeder Bürger des Landes sich unter bestimmten Regeln beteiligen darf. Er kann nach seinem Gutdünken denjenigen Parteien oder ihren Vertretern persönlich, je nach Programm und Sympathie seine Stimmen anvertrauen, ohne Anspruch auf eine angemessene Gegenleistung. In anderen Bereichen würde man diesen Vorgang als „Blind Date“ bezeichnen oder mit einer Lotterie vergleichen, von der wir alle im Voraus wissen, dass die Zahl der Nieten diejenigen der Gewinner bei Weitem übertrifft.

Aktiv an den Wahlen teilzunehmen, ist schon seit Langem nicht mehr mein Ding. Ich bin 81 und war bis zu einem gewissen Zeitpunkt in meinem Umfeld als unnachgiebiger Wahlprediger tätig. Für mich, den man als Buben in eine schwarze Hose gesteckt hatte, gab es bei meinem ersten Urnengang nur eine einzige, gottbegnadete Partei, der ich mein Vertrauen schenken konnte, weil sie mir den Himmel auf Erden versprach. Natürlich werde ich mich hüten, sie namentlich zu benennen. Nach und nach habe ich Politiker aus verschiedenen Richtungen kennen- und schätzen gelernt, die weniger selbstgefällig und erfolgssatt waren und mich durch ihre Dynamik begeisterten. Meine Hosen habe ich farblich mehrmals politisch korrekt an die Stimmabgabe angepasst. Die Angebote der jeweiligen Parteien waren ja eh bei jedem gleich und unerreichbar hochgesteckt.

Als in den Jahren 1984 bis 1986 die Bombenlegeraffäre unser Land in Angst und Schrecken versetzte, war nicht zu übersehen, dass die lasche Vorgehensweise der betroffenen Behörden wie Polizei, Geheimdienst, Armee und Justiz von Anfang an eher in Richtung „laufen lassen“ als „hinterherrennen“ hinwies. Sicheren Augenzeugen wurden die Lippen zugenäht und ihnen zusätzlich die Kastration angedroht. Als dann im Dunstkreise der Täter der Name eines großherzoglichen Sprösslings auftauchte, wurden alle Schotten dichtgemacht und landesweit die kollektive Volksverdummung über die Bürger verhängt.

Wir haben in all den Jahren tüchtige Politiker gehabt, die den ganzen Globus bereisten, um in fremden Ländern mutig auf Verfehlungen gegen die Menschenrechte hinzuweisen. Sie sind dann ohne schlechtes Gewissen nach Hause zurückgekommen, komplett ignorierend, dass sie hier ein zum Himmel stinkender Misthaufen erwartete, als Sinnbild eines frevelhaften Angriffes auf unsere eigene, geschundene Demokratie.

Beim angehenden Prozess stach ein mutiger Anwalt hervor, der keine Angst hatte, die Probleme mit Namen zu nennen, und der durch seine direkten, unverblümten Fragen manche Prominente wie Schulbuben aussehen ließ, die beim Kirschenklau erwischt wurden. Mit Erstaunen sah ich damals diejenigen meiner Kandidaten, denen ich zu ihrem Amt verholfen hatte, mit Unschuldsmienen, je nach Parteiangehörigkeit rosenkranzschwenkend in einer langen Prozession vor dem Richter vorbeiziehen. Sie waren alle überzeugte Anhänger der bekannten Affenphilosophie: Nichts gesehen, nichts gehört, nichts gesagt. Dass sie so unbekümmert den Angriff auf unsere Freiheit hinnahmen, hat mich zutiefst getroffen und ich fühlte mich im Gegensatz zu ihnen schuldig. An dem Tag beschloss ich, nie mehr zur Wahl zu gehen und anderen Bürgern mit mehr Menschenkenntnissen die Krönung der Unwürdigen zu überlassen.

Während der ganzen Jahre hatte keine einzige Partei den Mut gehabt, die Aufklärung der Bombenleger in ihr Wahlprogramm aufzunehmen, um unsere Geschichte von dem anhängenden Geschwür zu befreien. Aus wohlüberlegter Vernunft, purer Feigheit oder gar aus reiner Vergesslichkeit?

Ich muss jetzt abschließen. Vor meiner Tür stehen drei unauffällig gekleidete, Sonnenbrillen und Schlapphüte tragende Männer in langen Mänteln, die wohl rein zufällig Interesse an meinem Haus gefunden haben. Ich schätze sie als Häusermakler ein, die auf Schnäppchenjagd sind.

Ich wünsche Ihnen alle, die demnächst ihre Stimmen abgeben werden, ein glückliches Händchen in der Kabine und dankbare Gewählte, die sich bemühen werden, Ihr Vertrauen zu rechtfertigen.

Herzliche Grüße.

Ja,warum?
10. Juli 2023 - 16.08

Um die Grünen abzuwählen, aber wie?
Heuer kenn es sein das Andere den größte Wahlverlierer mit in eine Dreierkoalition nehmen um eine Regierung bilden zu können.
Und der nimmt sich dann noch das Recht, die meisten Steuergelder
durch den Nussknacker zu drehen.?
Warum also am Wahlsonntag aufstehen?

benschul
10. Juli 2023 - 15.05

Grober J-P. Nicht gewechselt aber im Kleiderschrank verstaut. Im Leben schließt sich immer wieder eine Tür und eine andere öffnet sich und bietet neue Möglichkeiten, wenn wir wollen.

Grober J-P.
7. Juli 2023 - 21.53

Wählen "würde man diesen Vorgang als „Blind Date“ bezeichnen."
Je älter ich werde desto mehr empfinde ich es auch als Blinde Date.
Scheint an der Zunahme, na ja, vielleicht nicht von Weisheit aber von mehr Einsicht zu sein.
Ben, hüten Sie sich vor Männern mit Schlapphut und Regenmantel.
Wusste nicht, dass Sie schon so alt sind.
Die Vereinshosen haben Sie aber nicht gewechselt?