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LeserforumReisebericht aus der Vergangenheit, aber von aktueller Bedeutung

Leserforum / Reisebericht aus der Vergangenheit, aber von aktueller Bedeutung
Arbeiter sitzen neben ihren Schubkarren, während sie vor dem bevorstehenden Fastenmonat Ramadan auf Arbeit warten. Muslime auf der ganzen Welt nehmen am Ramadan teil.  Foto: dpa/AP/Rahmat Gul

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Im Sommer 1996 begeisterte mich Nordpakistan. Ich wollte eine der höchsten Bergstraßen der Welt mit meinem Fahrrad erkunden, den Karakorum Highway. Er ist eine alte Wegestrecke, auf der schon Alexander der Große unterwegs war.

Dieser alte Pass wurde in der Neuzeit als strategische Verbindung ausgebaut und führt von Islamabad bis Kaschgar in Xinjiang. Er ist die einzige Landverbindung Pakistans mit China und garantiert Nachschub in Krisenzeiten. Mitte September 1996 flog ich über London nach Islamabad und weiter am Berg Nanga Parbat vorbei nach Gilgit, gelegen auf 1.500 m. Eine Unterkunft zu finden, erwies sich als schwierig, doch überall war Feststimmung. Der Aga Khan war bei seinen Gläubigen zu Besuch. Er ist der 49. Iman der Nizari-Ismailiten, einer Glaubensgemeinschaft von 20 Millionen schiitischen Muslimen.

Angekommen im Hunza Valley, dachte ich nur an mein Pensum, 270 km und 3.100 Höhenmeter. Schon am nächsten Morgen startete ich. Immer dem Tal nach bis nach Sust, zur letzten Niederlassung, wo ich mir einen Tag Ruhe gönnte. Dann fuhr ich los, zum Khunjerab Pass, mit einer Passhöhe von 4.733 m, die man nach rund 90 km erreicht. Die Straße war wie gebügelt – wenig Verkehr, doch überall Steinschlag vom letzten Erdbeben.

Um 15.30 Uhr hatte ich es geschafft. Ich war ganz allein am Pass, denn die Grenze nach China lag nur in 10 Kilometern Entfernung. Ich lehnte mein Gios-Fahrrad an ein Monument, das Zhou Enlai darstellt und die pakistanisch-chinesische Freundschaft preist, schnell ein Dia und schon dachte ich an die Abfahrt, denn es dunkelte schon nach 17.00 Uhr.

Am nächsten Tag pedalierte ich das Tal hinunter, an Gilgit vorbei zum Indus. An der Flanke des Nanga Parbat stand eine endlose Schlange Brummis, Grund hierfür war ein Bergrutsch. Ich fuhr an ihnen vorbei bis zu einem Geröllhaufen, wo ein Schaufelbagger in Aktion war. Der Führer hielt inne und winkte mir zu. Ich schulterte mein Gios, erklomm das Hindernis dankend und fuhr weiter. Super!

Über den Shangla Pass erreichte ich das Swat Valley, eine Oase im steinigen Pakistan. Daher wird es oft mit dem grünen Kashmir verglichen. Weiter südlich erreichte ich die Verbindungsstraße Peschawar-Islamabad. Die alten, schön bemalten Brummis machten mir zu schaffen. Ein Bus überholte mich und hielt etwas weiter an. Ich drückte auf die Pedale, der Fahrer ließ mich einsteigen. Etwas später Gemurmel. Die anderen Fahrgäste hatten beobachtet, dass ich draufzahlen musste. Der Fahrer entschuldigte sich und gab mir ein paar Münzen zurück.

In Peschawar angekommen, holte der Fahrer das Gios vom Dach, meine Trinkflasche fehlte. Gefällig half er mir beim Suchen. Nachts in meiner Herberge klopfte jemand an meine Zimmertür; ich war nicht erschreckt, hatte kein Angstgefühl. Ich rief „Sir, it’s the wrong door!“ und schlief weiter, denn ich war geprägt durch meine guten Erfahrungen.

Nach einem Abstecher nach Abbottabad, ein Höhenkurort für heiße Sommertage, erreichte ich das alte Rawalpindi neben dem neuen Islamabad.

Ein paar Tage blieben mir noch in Pakistan und ich besuchte alles Interessante. Am meisten bleibt die Erinnerung an die Darbildungen mit den Gesichtszügen der alten Griechen, die mich überzeugt haben von der Verbundenheit der Kulturen. Mit dem Fahrrad unterwegs begnügte ich mich mit Tee, doch beim Bummel durch die Stadt dachte ich ans liebe Bier. „Do you have a permit for toxic drinks?“, fragte man mich, als Ausländer erkannt! „No sir, that’s only for residents“!

Außer den alten Bauten, der Kultur und der Landschaft haben mich auf meinen Reisen auch die Menschen interressiert. So suchte ich bei meinen Besuchen in den Teestuben das Gespräch. Geprägt durch mein Leben im Westen war meine Einstellung die, dass unser Handeln in diesem Teil der Welt wohl das richtige sei. So redete ich wohlwollend über unser Vorgehen im Sinne des Fortschritts und natürlich des Friedens. Doch mein Gegenüber beim Tee, irgendwo an der Grenze zu Afghanistan, antwortete mir höflich, aber bestimmt: „No, no, sir, only Taliban“!

Heute, nach vielen Jahren, hat sogar D. Trump erkannt, dass durch westliches Eingreifen ein Land wie Afghanistan nicht in unserem Sinne zu beglücken ist. Die „Knüppel aus dem Sack“-Diplomatie seines Vorgängers G.W. war die falsche! „Unsere Freiheit wird am Hindukusch verteidigt“, skandierte ein BRD-Politiker.

Was haben wir erreicht nach 18 Jahren Intervention? Tote, Leid, Flüchtlinge, ein total zerstörtes Land sowie Hass gegen den Westen!

Heute stellt sich heraus, dass die NATO-Erfolge geschönt wurden, um Hoffnungen sowie Zustimmung zu erreichen. Weiter ist bekannt, dass die Allianz mehr Unheil angerichtet hat als die Aufständischen, auch von Kriegsverbrechen ist die Rede! Was mich am meisten stört, ist der Verlust des guten Verhältnisses der einfachen Menschen gegenüber uns Fremden. Kein Willkommen mehr, nur Misstrauen.

Besser ein Ende mit Schrecken, wie in Vietnam, als ein Schrecken ohne Ende. Ein Abzug wird nicht ausbleiben. Er wird die Voraussetzung sein für ein neues Afghanistan, dem wir nach dieser schmerzlichen Epoche hoffentlich den gebührenden Respekt erweisen werden. Seine Zukunft wie seine Versöhnung soll es finden, ohne Einmischungen, auf der Basis seiner Traditionen, Religion wie Kultur, und in der Freiheit, die es über Jahrhunderte genoss!

Aus der Vergangenheit lernen! Doch die Gier, vorteilhaft an Bodenschätze zu kommen, zählt für eine „Grande Nation“ wie Frankreich als nationales Interesse. So setzt Frankreich bei seinem Vorgehen auf die umstrittenen Präsidenten der Länder des Françafrique, die in der demokratischen Welt einen miserablen wie zweifelhaften Ruf genießen, und hat dadurch Unzufriedenheit ausgelöst. Aus Afrique wird „à fric“!

Die als „Insurgés“ bekannten Volksgruppen sind die Benachteiligten beim Verteilen des nationalen Reichtums und haben sich für die Rebellion entschieden, um für ihre Rechte zu kämpfen. Hier wurde eine Konfliktprävention über Jahre verschlafen. Doch darf es nicht zu spät sein, um durch unsere Vermittlungen einen Ausgleich der Interessen zu finden und um Schlimmeres zu vermeiden. Europa darf nicht zulassen, dass vor seiner Tür ein Afghanistan ensteht!