„Die Freiheit des Einzelnen endet dort, wo die Freiheit des Anderen beginnt“, wurde in den vergangenen Monaten (und bald leider bereits Jahren) oft zitiert. Dadurch, dass es abermals erschallt und umhergeworfen wurde, ist einem die Tragweite Kants Argument oft nur theoretisch bewusst. Während jedoch über Ideologien und Theorien gestritten wird, werden in der Realität Fakten geschaffen. Der Grund, warum ich diesen Brief schreibe, ist der, dass Andere bereits zu lange ihrer Rechte aufgrund der säuerlichen Freiheit Einzelner beraubt werden.
Dies wurde mir wieder einmal bitter bewusst, als meiner Großmutter nach einem Sturz ihr Aufenthalt im Krankenhaus verwehrt wurde. Es hieß, man müsse Platz schaffen für die erwarteten Corona-Patienten, und man könnte keine weiteren Personen aufnehmen. Enttäuschung und Wut, aber vor allem Hilflosigkeit stellte sich ein. Wut nicht gegenüber des Personals im Krankenhaus, welches ohnehin bereits seit fast zwei Jahren an den Grenzen der Belastung arbeitet und nur die Entschlüsse der Regierung umsetzt. Nein, Wut gegenüber denen, welche denken, ihre Freiheit wäre wichtiger als das Gemeinwohl der Gesellschaft.
Was wird aus den Schwächsten der Gesellschaft, wenn es keine Optionen mehr gibt, um ihnen zu helfen, da Einzelne die Mehrheit als Geisel nehmen? Hätte meine Großmutter nicht die Hilfe meiner Mutter, könnte sie nicht einmal mehr die Tür öffnen, um ihr Essen entgegenzunehmen. Mir bricht das Herz bei der Vorstellung, dass ältere Mitmenschen ohne Familie in Notsituationen nach Hause abgeschoben werden müssen, ohne Perspektive auf Hilfe, nicht einmal in der Lage, sich ins Badezimmer zu begeben, um nicht in ihrer eigenen Notdurft liegen zu müssen.
Dies mag ein drastisches Beispiel sein, aber auch Extremfälle sind die Realität, mit welcher wir durch den zimperlichen Umgang mit der epidemischen Lage leben müssen. Man kann nun darüber streiten, in welchem konkreten Ausmaß eine vollständige Impfung der deutlichen Mehrheit der Bürger die Krankenhäuser entlasten würde. Klar ist jedoch, dass es sehr wahrscheinlich zu einer Entlastung führen würde, und momentan mehr Ungeimpfte in Normal- und Intensivpflege sind als vollständig geimpfte Personen. Eine Impfpflicht und die konsequente Umsetzung dieser würde dem Gesundheitssektor wieder Spielraum geben, um auch Menschen mit anderen Problemen zu helfen. Menschen, welche sowieso bereits geschwächt sind und ein Recht auf Hilfe haben.
Wer Teil einer Gesellschaft ist und von der Sicherheit profitiert, geht eine Verpflichtung ein, diese Sicherheit nicht mit seinen Handlungen zu boykottieren. Wer denkt, in seiner algorithmischen Blase die absolute Wahrheit gefunden zu haben, sollte sich dieses warmen Trosts entledigen und der Wahrheit ins Auge sehen – es gibt keine absolute Wahrheit. Das Leben ist nicht schwarz-weiß. Man muss Kompromisse eingehen und über seinen eigenen Schatten springen, und dabei auch im Sinne Anderer handeln. Ansonsten kann eine Gesellschaft nicht bestehen.
Darum bitte ich die Regierung inständig darum, ihrer Aufgabe nachzugehen und im Sinne der Gesellschaft zu entscheiden. Auch, wenn dies bedeutet, unwillige Mitglieder der Gesellschaft zu ihren Pflichten gegenüber der Allgemeinheit zu veranlassen. Impfpflicht, ja danke.
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