Erinnern an das unvorstellbare Leid, das Menschen durch den Einsatz dieser menschenverachtenden Waffen erlebt haben; mahnen, dass Atomwaffen auch heutzutage eine reelle Gefahr für die Menschheit darstellen; handeln, damit alle Nationen sich dem Atomwaffenverbotsvertrag der Vereinten Nationen anschließen, um eine Welt ohne diese mörderischen Waffen zu ermöglichen – dies waren die Leitgedanken der letzten Tage.
Es ist schlicht und ergreifend paradox: Einerseits diskutieren wir über eine Pandemie, die Klimakrise, Artensterben und Biodiversitätsverlust – und dies ist nicht nur richtig, sondern auch wichtig –, andererseits fallen bei Atombomben rigoros die Scheuklappen. Die Atommächte rüsten förmlich um die Wette und modernisieren die mörderischen Waffen ins Unermessliche. In strategischen Einsatzplänen wird die Idee eines „führbaren Atomkriegs“ konstruiert.
Die Bedrohung einer nuklearen Auseinandersetzung ist so groß wie seit dem Kalten Krieg nicht mehr. Die renommierte US-amerikanische Tageszeitung Washington Post verdeutlichte vor wenigen Tagen die Gefahr eines militärischen atomaren Unfalls. Sie titelte: „The reason we haven’t had nuclear disasters isn’t careful planning. It’s luck.“ Die Vorstellung, dass die Vermeidung eines Atomkriegs auf nichts anderem basiert als Glück lässt breite Teile der Gesellschaft kalt.
Warum dies so ist, könnte mit einem sich verfestigenden, historischen Legendenbild zu tun haben. Die Geschichtsschreibung des Westens besagt, dass der Einsatz der beiden Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki die Kapitulation Japans im August 1945 bewirkte und somit den Krieg im pazifischen Raum beendete. Die unvermeidbaren 214.000 Sofort-Toten hätten eigentlich das Leben von wesentlich mehr Menschen, hauptsächlich amerikanischen Soldaten, gerettet. Diese moralisch-fragwürdige These legitimiert laut USA den Einsatz beider Atombomben, weil er laut ihnen eben größeres Leid vermied. Diese Deutung wurde seitens den USA durch ihren Präsidenten Harry S. Truman verbreitet und in der westlichen Presse fast kommentarlos übernommen.
Eine faktenbasierte Spurensuche
Mitte der 60er Jahre beschäftigte Historiker, Friedensforscher und Journalisten die Frage, ob sich die Kapitulation Japans wirklich auf den US-amerikanischen Angriff zurückführen lässt. Ist die Kapitulation noch anders zu erklären?
Die Spurensuche begann bei der Jalta-Konferenz im Februar 1945, neben der Aufteilung Deutschlands und den Machtverhältnissen in Europa war ebenfalls der Krieg gegen das Japanische Kaiserreich Thema. Nach Kriegsende 1945 trafen sich die „Großen Drei“ (USA, Russland und Großbritannien) vom 17. Juli bis zum 2. August erneut, dieses Mal im besetzten Deutschland, zur Potsdamer Konferenz, um über das weitere Vorgehen zu beraten. Wieder waren die andauernden Kriegshandlungen im Pazifikraum Thema. Die Sowjetunion hatte zu diesem Zeitpunkt noch einen Neutralitätspakt gegenüber Japan und war somit nicht Teil der Potsdamer Erklärung, welche offiziell die amerikanisch-britisch-chinesischen Bedingungen für die Kapitulation Japans festlegte. In einer Geheimabsprache verpflichtete sich die Sowjetunion jedoch dazu, ein Bündnis mit China einzugehen und dem Kaiserreich Japan gemeinsam, 90 Tage nach Kriegsende in Europa, den Krieg zu erklären.
Ward Wilson, Senior Fellow und Direktor des Projekts „Rethinking Nuclear Weapons“ beim „British American Security Information Council“ (Basic), einem Thinktank mit Schwerpunkt nukleare Abrüstung, veröffentlichte 2015 eine Analyse und räumte mit einigen Mythen betreffend die atomaren Waffen auf. Für Wilson lieferten seine Recherchen die Fakten, dass Japan nicht infolge der Atombombenangriffe, sondern wegen des sowjetischen Kriegseintritts kapitulierte.
Die Kriegserklärung der Sowjetunion am 8. August veränderte die Situation strategisch entscheidend. Bis zu dieser Kriegserklärung gab es seit 1941 den schon erwähnten japanisch-sowjetischen Neutralitätspakt, einen Friedens- und Freundschaftsvertrag während des Zweiten Weltkriegs.
Kriegserklärung der Sowjetunion
Während des Zweiten Weltkriegs wurden viele Städte aufs Heftigste bombardiert. Diese Verwüstungen haben kein einziges Land zur Kapitulation bewegt. Die Vereinigten Staaten bombardierten ab März 1945 ganze 66 japanische Städte mit hunderttausenden von Toten unter der Zivilbevölkerung und verheerenden Verwüstungen. Hiroshima und Nagasaki waren die Städte 67 und 68. Die japanische Führung war von den Bombenangriffen allgemein nicht besonders beeindruckt. Der Heeresminister Anami Korechika, einer der mächtigsten Männer im Kaiserreich, erklärte, dass die Atombombenangriffe nicht bedrohlicher seien als die Brandexplosionen, die seit Monaten fast ganz Japan verwüstet hätten. Trotz militärischer Hardliner wie Korechika gab es seit Mitte 1944 einen immer stärker werdenden Flügel innerhalb der japanischen Führung, der eine mögliche Kapitulation, dies unter ehrenvollen Bedingungen, offen diskutierte. Wichtigste Bedingung war, dass der japanische Kaiser sein Status behalten müsse. Die Kapitulationsbedingungen sollten mit diplomatischer Vermittlung der Sowjetunion erreicht werden.
Es waren aber die Kriegserklärung der Sowjetunion und die Invasion der Mandschurei sowie der Insel Sachalin, die eine entscheidende Veränderung des strategischen Gleichgewichts bewirkten. Die Zerstörung einzelner Städte konnte dies nicht bewirken. Um einen Krieg zu gewinnen, muss man die feindliche Armee besiegen. Die japanische Armee hatte aufgrund dieser neuen militärischen Sachlage keine Chance mehr, diesen Pazifikkrieg siegreich zu beenden. Gegen die USA und die Sowjetunion war die Niederlage Japans besiegelt. Eine solche Kriegsniederlage wäre eine Schande für die japanische Armee gewesen und hätte den „Gesichtsverlust“, den Verlust der Ehre, des japanischen Kaisers bedeutet. In der japanischen Kultur ist dies unvorstellbar.
Wie nun aber ohne massiven Gesichtsverlust eine Kapitulation erklären? Hier kommen die Atombomben ins Spiel. Die Atombombe war einfach die perfekte Entschuldigung für die Niederlage. Ward Wilson wird dann in seiner Analyse noch klarer. Japans Niederlage der Bombe zuzuschreiben, hatte drei politische Vorteile. Erstens hat sie die Legitimität des Kaisers gewahrt. Wäre der Krieg nicht wegen seiner Fehler, sondern wegen des plötzlichen Auftauchens einer „Wunderwaffe“ des Feindes verloren gegangen, könnte der Kaiser seine Unterstützung innerhalb Japans aufrechterhalten. Zweitens trug sie dazu bei, internationale Sympathie zu gewinnen. Japan führte seit 1937 im Pazifik einen Angriffskrieg und hatte gegenüber den eroberten Völkern eine beispiellose Brutalität walten lassen.
Es bestand für die Verantwortlichen die Gefahr, dass das Verhalten Japans dazu führen würde, von den Nationen geächtet zu werden. Doch die plötzliche Darstellung Japans als eine Art Opfernation, einer Nation, die mit einer grausamen und monströsen Kriegswaffe bombardiert worden war, ermöglichte es, viele der begangenen Kriegsverbrechen der japanischen Armee in den Hintergrund zu drängen. Drittens, zu sagen, dass es die Atombombe war, die den Krieg gewonnen hatte, konnte den amerikanischen Siegern nur gefallen. Japan legte sich klar auf die Deutung des amerikanischen Präsidenten Truman fest. Am 15. August um 12 Uhr mittags (Ortszeit) sendeten die Radiostationen die auf einer Grammofonplatte aufgezeichnete Kapitulationserklärung des Kaisers.
Macht und militärische Überlegenheit
Das Ende des Pazifikkrieges der Atombombe zuzuschreiben, diente daher in vielerlei Hinsicht japanischen Interessen. Jedoch diente es vor allem amerikanischen Interessen. Historiker wie Kai Bird der New Yorker Cuny-Universität deuten dieser Tage den Einsatz der Atombomben anders.
Vor der atomaren Bombardierung von Hiroshima und Nagasaki sprachen sich sieben der acht Fünf-Sterne-Generäle von US-Navy und Armee dagegen aus. Sie nannten die Atombomben militärisch unnötig und moralisch verwerflich. „Die Japaner sind bereit, zu kapitulieren“, sagte der spätere Präsident, General Dwight Eisenhower bei der Potsdamer Konferenz im Juli 1945: „(…) Es ist nicht nötig, sie mit diesem schrecklichen Ding zu schlagen“. Admiral William Leahy, der Truman als Stabschef diente, schrieb in seinen Memoiren: „Der Einsatz dieser barbarischen Waffe in Hiroshima und Nagasaki hatte keinen materiellen Nutzen in unserem Krieg gegen Japan. Die Japaner waren schon besiegt und bereit, zu kapitulieren.“ Der Historiker Peter Kuznick, Chef des „Nuclear Studies Institute“ an der American University in Washington DC, formuliert: „Präsident Harry Truman wusste all das, er hat es in seinem Tagebuch und an seine Frau geschrieben. Aber er wollte die Bomben.“
Zufall? Einen Tag vor der Potsdamer-Konferenz der Alliierten fand am 16. Juli unter dem Decknamen „Trinity“ in New Mexico der erste Atomwaffentest statt. Mit diesem Test und den Bomben auf Hiroshima und Nagasaki wollten die USA ihrem neuen Hauptkonkurrenten, der Sowjetunion, zeigen, wer die einzige globale Supermacht ist und dass man die Möglichkeit hat, seine Machtsphären zu verteidigen. Die Atombomben hatten keinen militärischen Einfluss auf die Beendigung des Pazifikkrieges. Einen verheerenden politischen Einfluss hatten sie wohl. Im August 1949 saß der Schock in den USA tief. Die Sowjetunion zündete ihren ersten Atombombentest. Die Vormachtstellung der USA war gebrochen. Es begann ein andauernder, irrsinniger atomarer Rüstungswettlauf.
Ein sehr interessanter Artikel, welcher ein neues Licht auf geschichtliche Mythen wirft.
Ein Übel kann man nur mit einem notwendigen Übel beseitigen. Die Bombe hat die Japaner zum Frieden gezwungen, Menschenleben gerettet. In der Folgezeit , im Kalten Krieg war die atomare Abschreckung , wie auch konventionelle Abschreckung, Werkzeug die kommunistisch-sozialistischen Staaten in Schach zuhalten. Die atomare Abschreckung ebnete den Weg für alle Freiheiten die die heutige Gesellschaft genießen tut.