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Legitime Hoffnungen

Legitime Hoffnungen
(Tageblatt/Alain Rischard)

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Ob diese Parlamentswahlen als historisch bezeichnet werden können, wie vielerseits behauptet, wird sich wohl erst in einigen Jahren oder gar Jahrzehnten zeigen.

Sicher, es ist ungewöhnlich, dass sich drei Parteien in Luxemburg zusammentun, um eine andere von der Macht zu drängen. Sicher, die CSV ist die stärkste Partei, aber von irgendeinem Wählerwillen zu schwafeln, der verlange, dass sie in die Regierung muss, ist natürlich Unsinn. Man wählt eine Partei, weil man will, dass diese die nächsten fünf Jahre mitgestaltet. Mit wem diese Partei eine Koalition eingehen soll, bestimmt der Wähler nicht, da er diesen Wunsch in keiner Weise ausdrückt. Es gibt nicht den Wählerwillen, es gibt so viele Wählerwillen, wie es Wähler gibt. Die Wähler wählen ein Parlament, nicht eine Regierung.

Claude Molinaro cmolinaro@tageblatt.lu

Koalitionen gehören wie der Parteienpluralismus zur Demokratie. Dass nun drei Parteien koalieren wollen, ist gewiss neu und ungewöhnlich. Aber es steht nirgends geschrieben, dass eine Koalition nur aus zwei Parteien bestehen darf. Zwei Drittel der Wähler haben der CSV ihr Vertrauen nicht geschenkt. Diese Wähler wollen etwas anderes.

Allerdings werden uns rund drei Viertel unserer Gesetzgebung von Brüssel vorgegeben: EU-Richtlinien und Verordnungen bestimmen große Teilbereiche unseres Lebens. Der Spielraum für nationale Entscheidungen ist klein. Es gilt also, diesen Spielraum auszunutzen.

LSAP, DP und „déi gréng“ sind mit dem Versprechen eines „Neuanfangs“ angetreten. Daran knüpfen sich nun viele Hoffnungen.

Arbeitsplätze zu schaffen und das Wohnungsproblem zu lösen, sind die dringendsten Probleme. Doch das erwartete man auch schon von der CSV.

Darüber hinaus gibt es den Wunsch nach Veränderungen, die mit der CSV undenkbar waren.

Reichlich Baustellen

Es geht darum, wie unsere Gesellschaft und unser Staat in Zukunft funktionieren sollen. Da wäre z.B. die Legitimierung der Politik.

Kaum ein anderes Land hat einen solch hohen Ausländeranteil, in naher Zukunft werden es 50 Prozent sein. Wir haben einen Demokratiemangel, der irgendwann behoben werden muss.

Hoffnungen machen sich auch Tausende Beschäftigte, dass der Sozialdialog verbessert wird. Dazu gehören auch mehr Mittel und Rechte für die Personaldelegationen in den Betrieben.
Hoffnungen machen sich viele Wähler, dass das leidige Thema „Trennung von Kirche und Staat“ endlich angegangen wird.

Es gibt auch so manche „Baustellen“, deren Fertigstellung schon seit Jahren angekündigt, aber nie realisiert wurde, wie etwa die administrative Vereinfachung.

Die Justiz soll ebenfalls reformiert werden, aber der vorliegende Plan eines Justizrats trieb die Magistrate auf die Barrikaden.

Hoffnungen machen sich auch all die Wähler, welche die CSV abgestraft haben, weil sie sie für die Austeritätspolitik verantwortlich machen.

Und schlussendlich sollten wir nicht vergessen, warum es überhaupt zu Neuwahlen gekommen ist: Der Geheimdienst und darüber hinaus die Art und Weise, wie der Staat insgesamt funktioniert, müssen reformiert werden. Hierbei geht es um das Verhältnis zwischen den staatlichen Verwaltungen und den Bürgern. Es muss sich endlich die Erkenntnis durchsetzen, dass der Staat kein Selbstzweck ist, sondern ein Dienstleister, bei dem der Kunde König sein soll.