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Krise im Theater

Krise im Theater

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Das Théâtre national entlarvt die Krise als eine Krise im Kopf. Zumindest bei uns sei finanzielle Not nur in den seltensten Fällen brutale Realität, die Krise sei vielmehr das einzig Sichere in einer immer konfuser werdenden Welt und deshalb ein Nest, in das man sich ganz gut einnisten könne.

Es ist Krise, so schlussfolgert das TNL, weil sie das tägliche Bewusstsein des Menschen bevölkert. Marja-Leena Junker freut sich über vierzig Jahre Kreativität im Théâtre du Centaure und stellt fest: Wir sind immer noch da. Doch fragt sie auch: „A quoi ça sert?“ Und das Kasemattentheater fordert schlicht: Mensch sein, trotz alledem!

Janina Strötgen jstroetgen@tageblatt.lu

Beinahe bei allen Pressekonferenzen, zu denen die verschiedenen Theater in der letzten Woche eingeladen hatten, fiel das Wort Krise. Mehr noch, in vielen der Programmhefte ist die Krise das Leitmotiv, der rote Faden, an dem sich die kommende Saison orientiert. Ist Krise im Theater? Oder das Theater in der Krise?

Der Neoliberalismus, der Anfang der 80er Jahre seinen Triumphzug angetreten hat, macht auch vor den Türen unserer Ministerien und Institutionen nicht Halt. In der Subventionspolitik etwa lässt sich eine Tendenz erkennen, die dem neoliberalen Traum von der Flexibilität des Menschen Rechnung trägt: Statt Festbeträge zu Beginn der Saison werden Gelder lieber projektbezogen vergeben.

Profitorientierte Subventionspolitik?

Auf den ersten Blick mag dies vielleicht gerechter erscheinen, da dadurch nicht nur fest etablierte Institutionen, sondern auch kleine, unabhängige Theatereinrichtungen leichter in den Genuss von Subventionen kommen. Doch aus Projektgeldern finanzierte Arbeitsverhältnisse sind prekärer (Sozialabgaben, Krankenversicherung) als feste Engagements, an Projekte gebundene Gelder machen langfristige künstlerische Entwicklungen unmöglich, da sie auf kurzfristigen Erfolg schielen und Produktionen an der Nützlichkeit auf dem Markt messen.

Diese profitorientierte Politik beeinflusst zwangsläufig auch die Reflexionen im Theater. Der zentrale Ansatz ist die Öffnung der Institution Theater in möglichst viele Richtungen. Traditionelle Grenzziehungen, wie die zwischen Theater und Wissenschaft, verwischen, denn konferenzähnliche Events auf den Bühnen – nicht selten in Kooperation mit der Universität – lassen das Geld aus zweierlei Töpfen fließen. Eine weitere Öffnung besteht darin, dass Theaterschaffende verstärkt ihre eigenen vier Wände verlassen und den sogenannten „öffentlichen Raum“ bespielen. An sich ist es nichts Schlechtes, wenn das Theater aus seinem Elfenbeinturm herausklettert und sich öffnet. Die Gefahr besteht allerdings darin, dass solche Projekte aus Nützlichkeitsdenken und Kalkül auf den Weg gebracht werden, da sich Projekte, denen Etiketten wie „Sozialarbeit“, „großregional“ oder „Bildungsauftrag“ anhaften, bei Politikern nun mal konsensfähiger präsentieren und besser verkaufen lassen.

Das ökonomische Denken ist bis in die hintersten Winkel unserer Gesellschaft eingezogen. Das Theater könnte einer der letzten Orte sein, an denen man sich frei von ökonomischem Legitimationsdruck artikuliert und an dem den Auswirkungen von Leistungsdruck und Abstiegsängsten nachgespürt wird. Ein Ort, der der Realität entgegenwirkt, indem er menschliche Schwächen und Ängste zulässt und eben gerade von den körperlichen und physischen Deformationen des modernen Menschen erzählt. Ein Ort, der jene Gesellschaft widerspiegelt, in Frage stellt und auslacht, die ihn hervorbringt. Seine Kraft könnte von überaus reinigender Natur sein.

Doch die – auch im Hinblick auf den 20. Oktober – entscheidende Frage ist, will sich unsere Gesellschaft diese paar Narren überhaupt noch leisten? Denn Vorsicht, Narrenhände beschmieren Tisch und Wände!