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Keine Neid -Debatte

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Zwei Ereignisse haben in den letzten Tagen die ausufernde Bezahlung von Spitzenkräften in der europäischen Wirtschaft in den Mittelpunkt gerückt.

Zum einen einigten sich in der vergangenen Woche in Brüssel EU-Parlamentarier, die EU-Kommission und der EU-Rat darauf, die Bonuszahlungen an Banker drastisch zu reduzieren. Und am Sonntag haben in der Schweiz die Wähler deutlich gemacht, dass sie so manche Praktiken wie „goldene Handschläge“ oder ein großzügiges Begrüßungsgeld, das Topmanager beim Antritt ihres neuen Jobs gerne mal in Millionenhöhe (ob in Schweizer Franken oder Euro tut dabei nichts zur Sache) erhalten, ablehnen.

Guy Kemp gkemp@tageblatt.lu

Nun werden die derart „Geschädigten“ wohl sehr schnell zur Stelle sein, um zu erklären, dass hier eine Neid-Debatte angestoßen worden sei, dass sich die Risiken, die im Beruf eingegangen werden, sowie Leistung und Erfolg auch auszahlen müssten. Andere werden wohl politischer argumentieren und vor einer kommunistischen Wiedergeburt warnen.

Darum geht es jedoch nicht. Es geht um das Exzessive, die Verhältnislosigkeit, die bei der Bezahlung von Spitzenkräften in der Wirtschaft (wohl sollte man so manche Sportler, wie etwa Fußballspieler, hier mit einbeziehen), geradezu zur Selbstverständlichkeit geworden ist. Aber auch um den gesellschaftlichen Zusammenhalt, der insbesondere in der derzeitigen Krisenzeit arg strapaziert wird.

Empörende Zustände

Immerhin hat das System, durch möglichst riskante Finanztransaktionen kurzfristig fette Boni einzustreichen, mit zur Finanzkrise beigetragen, aus der heraus sich jene Wirtschaftskrise entwickelte, unter der Millionen Menschen in Europa leiden. Insofern hat die letztwöchige Einigung in Brüssel auch pädagogischen Charakter, da eine ihrer Regelungen vorsieht, Boni erst nach einigen Jahren auszuzahlen, wenn sich erwiesen hat, dass nicht nur auf den schnellen Gewinn gesetzt wurde. Und da der Markt bei Weitem nicht alles regelt – wie eben auch unberechtigte Abfindungen, die Spitzenmanager auch dann noch bekommen, wenn sie den Karren in den Dreck gefahren haben –, wäre es begrüßenswert, wenn die Schweizer Initiative Schule machen würde. Sie wird zwar keine exorbitanten Gehälter verhindern können, doch hat sie das Verdienst, dass sich mit der zusehends auseinanderklaffenden Schere, was die Einkommen in Europa anbelangt, beschäftigt wird.

Denn sieht man sich einmal das andere Ende der Skala an, so findet man ebenso empörende Zustände. Mindestlöhne werden aus Gründen der Wettbewerbsfähigkeit weiter beschnitten – sofern es welche gibt. Was insbesondere in einer der größten Wirtschaftsnationen, Deutschland, der Fall ist. Hier wird es ebenfalls wie eine Selbstverständlichkeit hingenommen, dass Menschen von ihrem 40-Stunden-Job nicht leben können und sich den Rest beim Sozialamt abholen müssen.

Angesichts solcher Verhältnisse sollte bloß niemand kommen und eine Diskussion über unverschämt hohe Bezüge als Neid-Debatte abtun. Das wäre der Obszönität zu viel.