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Kein Blut, einige Tränen

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Ganz Juncker, analysierte der Staatsminister seine eigene Rede zur Lage der Nation zum Schluss selbst und bescheinigte sich, eine konzentrierte, fokussierte Erklärung abgegeben zu haben.

So ganz fokussiert war sie dann doch nicht, die letzte Erklärung dieser Art vor den Wahlen. Gleich zu Beginn seiner Ausführungen beschäftigte sich Juncker mit dem schwindenden Vertrauen der Bürger in den Staat. Mit der Staatsräson dürfe kein Schindluder getrieben werden, so der Nachfolger von Jacques Santer, der vor wenigen Tagen dabei erwischt wurde, wie er vor der parlamentarischen Untersuchungskommission nicht die Wahrheit über die Organisation „Stay Behind“ sagte. Auch dies belastet das Vertrauen der Bürger in den Staat und bedarf einer Aufklärung. Immerhin plädierte Juncker dafür, dass – eben gerade aus Gründen der Staatsräson – die Serie von Bombenattentaten aufgeklärt werden solle.
Finanzpolitisch zeigte sich der Staatsminister zunehmend kritisch gegenüber den Prognosen von Experten, um aber auf eben solchen Prognosen aufbauend die „notwendigen“ 250 bis 300 Millionen Euro Einsparung im kommenden Jahr (zusätzlich zu den bereits geltenden Belastungen der Bürger der vergangenen Jahre) und die (nicht näher definierten) Maßnahmen der kommenden Jahre zu erläutern. Dies war nur einer der Widersprüche in der Rede. So will – ein absolut lobenswertes, wenn auch nicht neues Vorhaben – die Regierung verstärkt gegen die Wohnungsnot vorgehen und unterstützt die Gemeinden bei der Erhebung von Taxen auf leer stehende Häuser; zeitgleich werden aber die Zinsbonifikationen für den Wohnungskauf gestrichen.

Robert Schneider rschneider@tageblatt.lu

Zärtlich, aber nicht mit allen

Nicht zärtlich war der Premier, der zu dieser menschlichen Verhaltensform im Umgang mit unseren Senioren aufrief, mit den Grenzgängern: Die exportierten Sozialleistungen sollen unter die Lupe genommen werden, und nach dem Urteil zu den verweigerten Studienbeihilfen für die „Frontaliers“-Kinder würden diese Unterstützungen mit Einsparungsabsicht neu formuliert sprich gekürzt.
Kürzungen gelten auch für die RMG-Empfänger, denen er in einem populistischen Anfall gemeinnützige Arbeit ankündigte, ebenso wie er die – mittlerweile von der Branche abgelehnte – Idee wiederholte, junge unqualifizierte Arbeitslose sollten doch in den Gaststättenbereich arbeiten gehen. Umstritten, wenigstens bei Ökonomen, ist die Absicht, die BGL-Aktien, die der Staat im Rahmen der Rettung dieser Bank erwarb, bis Ende des Jahres an BNP Paribas zu verkaufen, auch wenn sich dies gut in der staatlichen Bilanz macht. Der Staatsminister – der sich gestern von seiner Zeit als Eurogruppen-Chef zu distanzieren schien, indem er Verständnis für die südlichen EU-Staaten aufbrachte, denen keine weiteren Sparmaßnahmen zugemutet werden könnten – hat sich offensichtlich vom allgemeinen Trend der Einsicht, dass Sparen um jeden Preis für die Wirtschaft kontraproduktiv ist, überzeugen lassen bzw. vom in dieser Frage leicht geläuterten Koalitionspartner beeinflussen lassen. Allerdings nicht mit voller Konsequenz: Ansonsten würde nicht weiter in die Taschen der arbeitenden Menschen gegriffen, während die Betriebe verschont bleiben und Kapital weiterhin ungenügend besteuert wird.
Die Schere zwischen Arm und Reich wird sich so, trotz Lippenbekenntnissen für den Mittelstand, nicht schließen – im Gegenteil.
Ansonsten ist während der Erklärung zur Lage der Nation aufgefallen, worüber der christlich-soziale Politiker kein Wort verlor: Umwelt, Integrationspolitik, Kultur, Sport, Gesellschaftspolitik … waren gestern keine Themen. Auch äußerte er sich nicht zur Nachfolge von François Biltgen.
Wie Juncker in seiner Selbsteinschätzung – diesmal treffend – bemerkte, hielt er keine Blut-und-Tränen-Rede. Im Vorwahljahr galt es – dies weiß er aus langer Erfahrung –, den Ball flach zu halten.