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Kein Abe für Europa

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Japans Premierminister Shinzo Abe verfolgt seine eigene Strategie, um das Land aus einer zwei Jahrzehnte dauernden wirtschaftlichen Stagnation zu führen.

Diese als Abenomics bekannt gewordene Politik besteht aus einer aggressiven Geldpolitik (Kauf von Staatsanleihen, um mehr Geld in Umlauf zu bringen), einem massiven, schuldenfinanzierten Konjunkturprogramm und aus Strukturreformen. Die ersten Resultate der neuen Politik waren überwältigend. Bürger und Wirtschaft spürten, dass es nach Jahren des Stillstands in der Politik wieder Bewegung gab. Optimismus kam auf. Die Börsen feierten ein Kursfeuerwerk. Das verfolgte Ziel, eine höhere Inflationsrate, scheint auf der Zielgeraden.

Christian Muller cmuller@tageblatt.lu

Auch in Europa fordern immer mehr Politiker und Marktexperten, Europas Zentralbank solle doch auch mehr tun, um die Konjunktur wieder anzukurbeln. Und die EZB scheint dem japanischen Beispiel auch folgen zu wollen. Sie hat angekündigt, für mehrere Hundert Milliarden Euro private Wertpapiere an den Finanzmärkten kaufen zu wollen.

Theoretisch müsste künftig somit auch in Europa die Inflationsrate wieder steigen. Eine niedrige Inflation oder eine Deflation (schrumpfende Preise) macht das Rückzahlen von Schulden schwieriger und erschwert es den Firmen, ihre Gewinne zu steigern.

Eine Frage der Kaufkraft

Aber: In Europa schrumpfen die Preise gar nicht. Derzeit liegt die Teuerungsrate in der Eurozone – aufs Jahr gerechnet – bei 0,3 Prozent. Die hausgemachte Inflationsrate liegt in Luxemburg bei einem Prozent. Das Einzige, was passiert, ist, dass die Geschwindigkeit, mit der die Preise steigen, sich verlangsamt. Dass dem so ist, liegt größtenteils an den starken Preisrückgängen für Energie auf den internationalen Märkten. Das ist eine gute Sache für die Industrie und für die Verbraucher. Muss man das wirklich bekämpfen?

Eine niedrige Inflation hat nämlich auch Vorteile. So sorgt sie dafür, dass die Kaufkraft der Konsumenten erhalten bleibt. Selbst bei einer Deflation bleibt der Wohlstand von Arbeitnehmern und Rentnern erhalten. Bei einer erzwungenen höheren Inflation hingegen sinken die realen Löhne der Arbeitnehmer – so wie derzeit in Japan.

Auch gilt es zu erinnern, dass die EZB eine klar definierte Mission hat. Die lautet: Preisstabilität. Vor zehn Jahren wünschten sich die Bürger der werdenden Eurozone eine Währung, die so stabil ist wie die Deutsche Mark das war. Sie wollten keine weiche Währung wie die italienische Lira, die jährlich stark an Wert verlor.

Das Drucken von Geld war noch nie eine nachhaltige Strategie. Es erschafft Preisblasen an den Märkten und läuft auf eine Umverteilung des Wohlstands hinaus – meist von unten nach oben. Nicht umsonst sind unter den Befürwortern einer aktiveren EZB-Politik viele Händler, die ihr Geld an den Börsen verdienen.

Und falls Europa wirklich die Konjunktur ankurbeln wollte, dann gäbe es auch Alternativen zum Kauf von Wertpapieren. Island hat es vorgemacht: Jeder Bürger erhielt einen Abschlag von bis zu 24.000 Euro auf seinem Immobilienkredit. Eine solche Aktion dürfte den Konsum wirklich ankurbeln.

In der Eurozone herrscht derzeit Preisstabilität. Europas Zentralbank darf sich also glücklich schätzen: Sie hat ihre Mission voll erfüllt. Das Ankurbeln der Konjunktur zählt nicht zu ihrem Aufgabenbereich. Das bleibt Aufgabe der europäischen Politik. Diese darf sich trotzdem bei Shinzo Abe inspirieren – und zwar an der Energie und an dem Enthusiasmus, mit dem er die Probleme des Landes anzugehen versucht.