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Jenseits von Gut und Böse

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Wir sind entsetzt. Der amerikanische Geheimdienst NSA hat uns in großem Maße ausspioniert oder tut es immer noch. Ausgerechnet uns, wo wir Europäer doch zu den Freunden der USA zählen sollen.

Wenn die NSA jetzt andere ausspioniert hätte, etwa die Chinesen oder die Russen, in diesem Fall nur als Beispiel die Bösen, das wäre ja irgendwie etwas anderes gewesen. Aber uns, die wir doch zu den Guten gehören? Das Entsetzen in Europa ist also groß. Die Reaktionen eher gemäßigt.

Serge Kennerknecht skennerknecht@tageblatt.lu

Na gut, es stimmt. Auch wir Europäer haben Geheimdienste. Etwa in Großbritannien, wo der halbe G20-Gipfel samt USA in London ausspioniert worden sein soll. Das wurde erst vor wenigen Wochen bekannt, aber man spricht nicht mehr viel davon.

Es gibt auch Geheimdienste in anderen Ländern. Eigentlich in jedem Land in Europa. Und glaubt man dem amerikanischen Präsidenten Barack Obama, dann spionieren die auch. Denn das hat uns Obama aus dem fernen Tansania mitgeteilt. „Geheimdienste spionieren, das ist ihr Job“, so Obama, der anführte, dass es bestimmt immer irgendeinen solchen Dienst gebe, der wissen wolle, was er, Obama, bei seiner nächsten Rede sagen wolle. Und wenn Obama das sagt, dann weiß er ja sicher, worüber er spricht. Als Präsident eines Landes mit 16 Geheimdiensten steht er in der Verantwortung.

Nun gibt es Leute, die entrüstet sind über das Ausmaß der Spionage. Allein in Deutschland seien z.B. monatlich 500 Millionen telefonische oder Internet-Daten festgehalten worden. Aber nur die Kontakte natürlich. Nicht die Inhalte. So was würden die USA nicht tun. Sagen die USA.

Verhandlungen über Freihandelszone

Die anderen Geheimdienste ganz sicher auch nicht. Und überhaupt werden uns die USA ja nun alles auf diplomatischem Weg erläutern. Wie es sich unter Freunden gehört. Und dann wird alles in Ordnung sein. Und die Verhandlungen über eine Freihandelszone zwischen den USA und der EU nächste Woche werden ganz normal beginnen können.

Niemand wird dann mehr sagen, hier sei die Freiheit des Bürgers missachtet oder seine persönlichen Rechte beschnitten worden. Gut, es gibt die Wirtschaftsspionage. Aber es geht ja vor allen Dingen um die Bekämpfung des Terrorismus. Das sollte man doch verstehen. Ein normaler Bürger muss wissen, dass die Bekämpfung des Terrors nur seiner eigenen Sicherheit dient. Man kann nicht alles haben, Sicherheit und Rechte. Das erklärt man ihm nun doch lange genug. Und sowieso: in Zeiten, da täglich Millionen Bürger ihre privatesten Dinge auf Facebook durchdiskutieren, kann es doch so schlimm nicht sein, wenn ein Geheimdienst einige Dinge mal für eine bestimmte Zeit sammelt. Man weiß ja nie.

Angeblich sind bereits Anschläge durch die NSA-Spionage verhindert worden. Sagt die NSA den Europäern. Und warum sollte ein ertappter Geheimdienst so etwas sagen, wenn es nicht stimmen würde? Er sagt natürlich nicht wo, sonst wäre es ja nicht mehr geheim.

Dass alles gar nicht so schlimm sein kann, kann man vielleicht auch daran sehen, dass bislang noch kaum ein Land bereit ist, dem früheren US-Spion Snowden (damals ein Guter) Asyl zu gewähren, jetzt, nachdem er die NSA „verraten“ hat, in Moskau festsitzt und die USA etwas Druck machen.

Mit Ausnahme des russischen Präsidenten Putin. Er will Snowden (jetzt ein Böser) Asyl gewähren, aber nur, wenn er aufhört, Böses über die USA und ihre Geheimdienste zu sagen. Bestimmt weil Putin auch weiß, dass Geheimdienste nun mal spionieren und Gut und Böse dann sehr relativ sein können. Denn Putin ist informiert. Auch er hat zumindest einen Geheimdienst, für den er in der Verantwortung steht. Diese Verantwortung hat er mit Obama und anderen Präsidenten und Premiers gemein.

Nicht mit seinem Luxemburger Kollegen Jean-Claude Juncker. Der hat zwar auch einen Geheimdienst, ist aber nicht immer informiert. Und angeblich auch nicht verantwortlich. Was daran liegen mag, dass man in der Angelegenheit hierzulande nicht weiß, wo Gut ist und wo Böse.

Aber ganz sicher das Gefühl nicht loswird, dass so manches, nicht nur bei der Verantwortung, dort im Argen liegt, sozusagen jenseits von Gut und Böse.