Hätte Muhammad Ali im 21. Jahrhundert geboxt, er wäre mit ziemlicher Sicherheit durch Strafen, Sperren oder Lizenzentzüge mundtot gemacht worden. Denn politisch korrekt war „The Greatest“ nie.
Philip Michel pmichel@tageblatt.lu
Dabei ist es genau das, was heute von einem Spitzensportler erwartet wird. Die PR-Experten machen bereits aus Talenten Medienprofis, die immer dasselbe sagen und auf gar keinen Fall anecken.
Für David Haye und Dereck Chisora gilt das nicht, obwohl auch sie das Spiel mit den Medien beherrschen. Beide setzen die Tradition der Lautsprecher im Boxsport fort. Kaum eine Pressekonferenz ohne Pöbeleien. Ab und an geht das dann ein wenig zu weit, so geschehen im November in München, als sich beide eine handfeste Keilerei lieferten, wobei man sich bei Ansicht der Bilder nur schwer des Eindrucks erwehren kann, dass das alles nur gespielt war. Eine Show, um das Interesse an einem Duell im Ring zwischen Haye und Chisora zu steigern. Ähnlich wie es Ali im Vorfeld seiner Kämpfe tat, nur dass bei Alis Pressekonferenzen nicht die Fäuste zu fliegen brauchten, sein loses Mundwerk reichte da vollkommen.
Tohuwabohu
Will sagen, man sollte dem Tohuwabohu der letzten Tage nicht mehr Bedeutung beimessen, als es verdient. Denn auch schlechte Werbung ist Werbung. Und England scheint mit Spannung auf diesen Kampf zu warten, waren Anfang der Woche doch bereits 20.000 Eintrittskarten verkauft.
Vor allem in Deutschland regt sich der Protest gegen den Haye-Chisora-Kampf, der nun aufgrund von Luxemburger Lizenzen (beide Boxer bekamen nach dem Zwischenfall ihre englischen Lizenzen entzogen, wurden aber nicht gesperrt) möglich wird. Im Land der Gentleman-Boxer manifestieren sich die Moralapostel, angefangen mit der ARD, die auf die Übertragung des Kampfes verzichtet. Ebenso vermeintlich korrekt hatte sich das Erste Deutsche Fernsehen bei der Tour de France verhalten und wegen der Dopingexzesse im Radsport das Ende der Live-Übertragungen für 2012 angekündigt. Dass ein Boxkampf ohne deutsche Beteiligung bzw. ohne die Klitschkos eine ebenso schlechte Einschaltquote wie die „Grande Boucle“ ohne einen Siegfahrer aus der Bundesrepublik verspricht, erwähnt der Fernsehsender wohlweislich nicht.
Für eine derartige Hypokrisie gibt es keinen Grund, auch in Luxemburg nicht. Der Boxsport hierzulande hängt mitsamt seinem Verband FLB seit Jahrzehnten in den Seilen und Besserung ist aus Mangel an einheimischen Boxern nicht in Sicht. Der Haye-Chisora-Coup bringt der FLB neben etwas Publicity auch einen Batzen Geld, den sie sicher gut gebrauchen kann. Ein Imageschaden für den Verband oder gar für das Luxemburger Land ist durch den Megakampf im Londoner Upton Park nicht zu erwarten.
Für den Rest gilt, was beim Boxen schon immer galt: Für die einen ist der Sport „Noble Art“, für die anderen nur eine sinnlose Prügelei. Noch heute schwärmen die Fans vom „Thrilla in Manila“, dabei war das dritte Duell zwischen Muhammad Ali und Joe Frazier eine der brutalsten Ringschlachten in der Geschichte des Boxsports. „Hässlich“, um es in den Worten Alis zu sagen, aber zugleich ungemein faszinierend. Eine Grenzerfahrung, und sicher keine Familien-Unterhaltung. Weshalb man in der Diskussion um den Haye-Chisora-Kampf die Werte des Sports und seine Vorbildfunktion nicht überstrapazieren sollte. Boxen ist etwas für Erwachsene. Mit Schweiß, Blut, Mauscheleien und Showeinlagen auf Pressekonferenzen.
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