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Hypokritische Debatte

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Vermeintliche Schuldgefühle als Kompass für politische Weichenstellungen sind ein fragwürdiges Orientierungsinstrument.

Verfolgt man jedoch die Debatte über die künftige Rolle Deutschlands in internationalen Konflikten, drängt sich der (medial vermittelte) Eindruck auf, dass das schlechte Gewissen der Bundesrepublik ihren außenpolitischen Kurs derzeit bestimmt.

Dhiraj Sabharwal dsabharwal@tageblatt.lu

Die Rufe aus Europa nach einer geteilten Verantwortung, einem verstärkten Krisen-Engagement und dem Ende der Zurückhaltung in Kriegsgebieten prägen den öffentlichen Sicherheitsdiskurs in Berlin. Deutschland soll seine militärische Rolle stärker als bislang wahrnehmen – so der Tenor von Spitzenpolitikern wie dem deutschen Außenminister Frank-Walter Steinmeier, der Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen und dem Bundespräsidenten Joachim Gauck. Hier gilt es jedoch zu differenzieren. Während Steinmeier zu Beginn seiner Amtszeit eine „Selbstverständigung über die Perspektiven deutscher Außenpolitik“ angekündigt hat und somit vorerst noch keine Option ausschließen will, scheint es für Gauck und Von der Leyen bereits festzustehen, dass eine Ausweitung militärischer Interventionen in Afrika selbstverständlich ist.

Rosinenpicker, Lehrmeister

Nicht von der Hand zu weisen ist wiederum, dass alle drei Akteure Deutschlands Ruf, ein sicherheitspolitischer Trittbrettfahrer zu sein, korrigieren wollen. Steinmeier sucht nicht ohne Grund die Nähe seines französischen Amtskollegen Laurent Fabius. Er strebt eine mit dem Franzosen abgestimmte Außenpolitik an. Der diplomatische Marathon in der Ukraine ist das beste Beispiel hierfür. Auch die Forderung Frankreichs an die EU, mehr Geld für seine Militärmissionen in Afrika zu erhalten, war ein direkter Appell an die Deutschen. Sie sollen aufhören, sich auf militärischer Ebene hinter Paris zu verstecken und gleichzeitig wirtschaftspolitisch als Rosinenpicker und Lehrmeister Europas aufzutreten.

Dass Berlin sich demnächst also vermehrt auf militärische Abenteuer einlassen könnte, weil der Druck von außen wächst, will nur bedingt heißen, eine kohärente außenpolitische Fahrtrichtung einzuschlagen: Zwar wird ein Konflikt mit den interventionsfreudigen Politikern in Paris und London vermieden, andererseits sollten sich die Deutschen daran erinnern, dass ihr verstärktes Militärengagement nach 1990 bisher nicht die erhofften Früchte trug – und andere Nationen ähnlich negative Erfahrungen gemacht haben. Die Beispiele Afghanistan, Irak, Libyen, Mali, Bosnien und Somalia zeugen heute von der Unfähigkeit, politische Systemwechsel durch militärische Interventionen zu erreichen und stabile Verhältnisse zu schaffen.

Wenn Deutschland also tatsächlich außen- und sicherheitspolitische Verantwortung übernehmen will, sollte es dies nicht über Kampfeinsätze, sondern, im Gegenteil, vielmehr über die Beschränkung seiner Rüstungsgeschäfte tun. Diese Dimension deutscher Interessenpolitik wird momentan kaum diskutiert. Die Bundesrepublik verfolgt nämlich mit ihren Waffenexporten – die nie neutrale Handelsgeschäfte sind – bereits eine klare außenpolitische Linie. Umso naiver wirkt es, wenn das jüngste Treffen der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel mit Israels Premier Benjamin Netanjahu als unterkühlt dargestellt wird. Die milliardenschweren Rüstungsdeals und Geschenke zwischen beiden Nationen sind Paradebeispiele dafür, wieso Deutschland nicht nur in Finanzfragen ein Rosinenpicker ist. Demnach sollte die Frage nicht lauten, ob Berlin aufgrund des europäischen Drucks vermehrt an Kampfeinsätzen teilnehmen soll, sondern wieso diese hypokritische Debatte über ein verstärktes militärisches Engagement eigentlich geführt wird.

Das Ende der Zurückhaltung ist längst Geschichte.