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Hunger zu Ostern

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Die Welt hat Hunger. Hunger nach Hasenbraten und Eiern. Hunger nach Liebe und Sex. Und zum Glück auch Hunger nach Geist und Utopien. Diese Schlussfolgerung kann man ziehen, wenn man die vielen Botschaften zu Ostern hört.

Angefangen mit dem Papst höchstpersönlich: Wir sollen uns alle lieben, hat er zu Ostern gefordert. Das kennt man, das haben alle Päpste vor ihm gemacht. Doch dann überrascht er: Franziskus wünscht den Gläubigen und all jenen, die zufällig, aus Neugierde oder Langeweile, auch zuhören, wie er das Angelus-Gebet betet, einen guten Appetit.

Janina Strötgen jstroetgen@tageblatt.lu

Einen guten Appetit? Wie weltlich, wie menschlich, wie grundbedürfnisorientiert unser neuer Stellvertreter Gottes auf Erden doch ist. Er hat verstanden: Liebe geht durch den Magen. Lasst es euch schmecken, nährt eure Wohlstandsbäuchlein, liebe Römer, esst die Eier. Und liebt euch.

So ähnlich sieht das auch Kolumnistin Silke Burmester (Spiegel online). Zumindest das mit dem Lieben, das wünscht sie sich auch. Kopf aus, Gefühl ein. Kondom weg. Das sollen wir von dem Osterhasen lernen: „Rammeln ohne Sinn und Verstand.“ Und damit das klappt, wünscht sie sich von dem Osterhasen in diesem Jahr keine Eier, sondern Rauschmittel. Für ganz viel Nachwuchs.

Auferstehung = Sieg der Utopie

Ihr Kollege, Jakob Augstein, hat sicherlich auch Hunger nach Fleisch und Körper, aber vor allem nach Utopien und Geist. Damit es der Nachwuchs mal nicht noch schlechter haben wird. Wir danken Jakob Augstein, der sich an Ostern, dem Fest der Auferstehung, an die alles überstrahlende Kraft der Utopie erinnert. Er deutet die Auferstehung als Sieg des utopischen Denkens. Schließlich komme der Tod daher wie ein Finanzkapitalist, der sagt: Es gibt keine Alternative. Da jedoch die Auferstehung Jesu diese Worte als Lügen entlarve, gebe es eine Alternative. Immer. Daraus will Augstein lernen, für die Politik. Der erste Schritt: Augstein wird selbst Utopist. In einer von Mittelmäßigkeit durchtrieften Zeit schlussfolgert er: „Nur das Radikale ist realistisch.“

Und deshalb wünschen wir uns zu Ostern neben Eiern, Rauschgift und Liebe vor allem Radikalität. Im Denken – besonders im Umdenken – sowie im Handeln. Um dem Zeitgeist entgegenzuwirken. Die Entwicklungen der letzten Jahre – wir bündeln sie hier lapidar unter dem Wort Krise – haben zu einer Orientierungslosigkeit geführt, die radikales Denken leicht im Keim erstickt. Entfremdung führt zu Ohnmacht. Und Wut, die treibende Kraft der Veränderung, wird durch Angst, den lähmenden Ballast der Mittelmäßigkeit, ausgebremst.

Statt Radikalität und Utopie-Denken schlagen die Stunden der Kleingeisterei. Es wuchern Moral und Vorwurf, überall entstehen neue Feindbilder und alte werden genährt, Kontrollwahn macht sich breit.

Doch welche Moral? Kontrolle von was? Und wer ist überhaupt der Feind? In einer Zeit, in der die Zukunft ihre Richtung verloren hat, müssen alte, aus vergangenen Zeiten noch übrig gebliebene Anker der Gesellschaft aus ihren ohnehin rostigen Schrauben herausgerissen werden. Das Schiff muss wieder frei treiben, auf dem Ozean der Alternativen.

Wie der neue Hafen einmal aussehen wird, das weiß keiner. Auch Augstein nicht. Doch der Papst wünscht uns einen guten Appetit und die Spiegel-Kolumnistin feiert den ungezügelten Sex als Helden der Gegenwart. Das ist doch schon einmal ein Anfang, ein kleiner Anfang der Grenzüberschreitungen, die dringend notwendig sind, wollen wir nicht in unserem Käfig ersticken, während der Hase über das Feld hoppelt. Vielleicht sollten wir damit anfangen, den Begriff der Freiheit neu zu denken. Und den des Appetits gleich mit.