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Höher, schneller, extremer

Höher, schneller, extremer
(Hans Kammerlander)

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Am Gipfel diese ungeheure Erleichterung, das ist das Schönste. Ich bringe von diesem Gipfelerlebnis eine totale Ausgeglichenheit, eine Zufriedenheit mit hinunter in den Alltag“: Hans Kammerlander weiß, wovon er spricht.

Der Südtiroler ist einer der bekanntesten Extrem-Bergsteiger überhaupt und wird heute Abend auf Einladung des Tageblatt eine Konferenz in der Coque halten.

Philip Michel pmichel@tageblatt.lu

Kammerlanders Motivation ist demnach die innere Befriedigung. Sie trieb ihn auf 13 der 14 höchsten Gipfel der Erde. Dabei stellte er so manchen Rekord auf, unter anderem den der schnellsten Besteigung des Mount Everest. Um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, bewältigte Kammerlander viele der Abstiege auf Skiern.

Die Sehnsucht nach der Grenzerfahrung ist dabei kein Phänomen der Spaßgesellschaft des 21. Jahrhunderts.

Vor 60 Jahren schafften es Edmund Hillary und Tenzing Norgay als erste Menschen auf das Dach der Welt. Die Mount-Everest-Besteigung blieb aber lange Zeit einem exklusiven Kreis von Athleten vorbehalten, ehe aus ihr zum Ende des Jahrtausends ein regelrechter Volkssport wurde. So dass der Berg heute nicht nur vom Müll, sondern auch von Leichen übersät ist. Rund 250 Menschen verloren bisher am Everest ihr Leben. Es gibt weder Leistungs- noch Qualifikationstests für die Gipfelstürmer, weshalb schwächere Bergsteiger in Anbetracht der schmalen Zeitfenster zur Besteigung regelmäßig für lebensbedrohliche Staus am Berg sorgen. Dass Extrem-Bergsteiger wie Kammerlander durch ihre Vorträge und Bücher nicht ganz unschuldig an den Exzessen sind, ist ihnen durchaus bewusst. Für sie sind die wahren Schuldigen an der Misere die kommerziellen Anbieter, „die ihre Kunden nicht über die wahren Gefahren aufklären. Die ihnen das Gefühl vermitteln, dass man sich den Everest kaufen kann“.

Extremsportliche PR

Extremsport als Massenphänomen des 21. Jahrhunderts? Es scheint fast so in Anbetracht der Gleitschirmakrobaten, der Ultraläufer, der Freikletterer, der Wingsuitflieger, der Base-Jumper, der Apnoetaucher. Die meisten unter ihnen suchen das durch die Endorphin-Ausschüttung bei Grenzerfahrungen ausgelöste Glücksgefühl und schöpfen ihr Selbstvertrauen daraus, dass sie ihre Angst in extremen Situationen kontrollieren können. Es ist also quasi ein Ausbruch aus dem immer mehr auf Sicherheit ausgelegten Alltag.

Salonfähig gemacht werden die Extremsportarten von Firmen wie Red Bull, das durch eine Vielzahl von Veranstaltungen Marketing in eigener Sache betreibt. In bleibender Erinnerung ist der perfekt inszenierte Stratosphären-Sprung des Österreichers Felix Baumgartner. Dafür gab Red Bull rund 50 Millionen Euro aus.

Schätzungen von Marketingexperten zufolge war die weltweite Berichterstattung darüber allein in den ersten drei Tagen nach dem Sprung sechs Milliarden Euro wert. So etwas nennt man wohl einen genialen PR-Coup.

Der Brausehersteller aus Österreich hat mittlerweile 500 Athleten unter Vertrag. Laut Recherchen des Westdeutschen Rundfunks sind in den letzten Jahren mindestens sechs Extremsportler von Red Bull ums Leben gekommen. Da liegt der Verdacht nahe, dass beim Unternehmen der Tod mit eingerechnet wird. Dieses Eindrucks kann man sich jedenfalls beim Betrachten der adrenalingeschwängerten Red-Bull-Filme und -Reportagen nur schwerlich erwehren. Dass die Honorare für die Extremsportler als Ansporn für immer gefährlichere Aktionen gelten dürften, liegt zudem auf der Hand.

Nichtsdestotrotz ist es letztendlich der Athlet, der die Verantwortung für sein Leben trägt. Marco Büchel, früherer Weltklasse-Skiläufer und inzwischen Base-Jumper, bringt das Gemüt der Extremsportler mit einfachen Worten auf den Punkt: „Ich springe nicht, weil ich lebensmüde bin. Ich springe, weil ich das Leben genießen will. Beim Sprung bin ich in einer anderen Welt, es gibt kein Zurück mehr. So etwas erlebst du sonst nirgends, es ist der totale Genuss, einfach überwältigend.“