Headlines

Historische Revanche

Historische Revanche

Jetzt weiterlesen! !

Für 0.99 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Wer in diesen Tagen seine Augen und Ohren auf China richtet, bekommt unterschiedliche Signale mit. Jeder redet über das wirtschaftliche Schwächeln des bevölkerungsreichsten Landes der Welt.

So niedrig wie heute waren die Wachstumszahlen seit 13 Jahren nicht mehr und man sieht kaum, wie das Reich der Mitte kurz oder mittelfristig wieder in die Gefilde eines zweistelligen Wachstums zurückkehren könnte.

Sascha Bremer sbremer@tageblatt.lu

Die Frage ist allerdings, ob man dies in China überhaupt will, denn das Land ist dabei, sich von seinem Status als reine billige Werkbank der Welt zu verabschieden und in Richtung einer nachhaltigen, entwickelten Wirtschaft zu gehen.

Die wirtschaftliche Entwicklung mag nicht in allen Regionen gleich hoch sein – man bedenke allerdings, dass das weder in den USA noch in Europa der Fall ist.

Eine derart fundamentale Neuausrichtung kann in einem Land solcher Dimensionen nicht ohne monumentale Schwierigkeiten wirtschaftlicher, finanzieller und politischer Natur vonstattengehen. Das weiß man natürlich auch in Peking, deshalb war man in den letzten Jahrzehnten stets darauf bedacht, so lange wie möglich behutsam vorzugehen, damit man nicht in Instabilität, oder schlimmer, ins Chaos stürze.

Historische Beispiele für die Zersplitterung des Riesenreiches gibt es genug. Die letzten Episoden aus den beiden vorangegangenen Jahrhunderten waren besonders schmerzhaft und finden noch heute ihren Widerhall in der Entwicklung des Landes.

Denn Chinas langen Marsch zurück an die Spitze der Weltwirtschaft kann man auch als einen Revancheakt einer jahrtausendealten Kulturnation gegen die Demütigungen aus dem Westen sehen. Man erinnert sich ungern an die Opiumkriege gegen Großbritannien im 19. Jahrhundert, an die Niederschlagung des Boxeraufstandes durch ein europäisches Expeditionskorps und die berühmt-berüchtigte Hunnenrede des deutschen Kaisers Wilhelm II., an die Zerstückelung des Reichs der Mitte durch die Kolonialmächte, den Angriffskrieg Japans … Aber man erinnert sich.

Die Erinnerung an diese Demütigungen ist einer der Motoren, die in China benutzt wurden, um das Land dorthin zu bringen, wo es heute steht. Quasi auf Augenhöhe mit den USA.

Noch fehlt es China jedoch an einigen sowohl symbolischen wie auch gleichzeitig konkreten Attributen, um Letzteres vollends zu tun. Ein solcher Schritt wäre z.B., ihre Währung als dritte – oder zweite? – Reservewährung der Welt zu positionieren. Ein Unterfangen, das fast unter Ausschluss der Weltöffentlichkeit dabei ist, vollzogen zu werden.
Denn manchmal werden in Peking Entwicklungen durchaus bewusst beschleunigt.

Provinzielle Zweigstellen

Die Chinesen könnten demnach – sofern sie denn wollten – so etwas wie Schadenfreude empfinden beim Betrachten des Spektakels, das gerade in Europa abläuft.

Gut möglich, dass sich die chinesischen Eliten jetzt mit einer Prise Genugtuung anschauen, wie die schwächelnden traditionellen Finanzplätze aus dem schwächelnden Europa – allen voran London und Frankfurt – um die Gunst buhlen, um als Umschlagplatz für den Handel mit der chinesischen Währung auf dem alten Kontinent dienen zu dürfen. Also quasi als provinzielle Zweigstelle für den Handel mit der chinesischen Währung. Im Zeitrahmen von nur einigen Generationen hat sich also das – aus chinesischer Sichtweise – aus der Bahn geratene globale wirtschaftliche Kräfteverhältnis wieder eingependelt.